Die Qualitätsentwicklung
multimedialer Materialien für den fachbezogenen Fremdsprachenunterricht
Karl-Heinz Eggensperger (Potsdam)
Abstract (English)
The present paper focuses on the evaluation of web-based teaching and
learning materials in integrated French-German study programs. As participants
in specialized language courses, students expect the foreign language
requirements for a successful participation in study programs conducted in the
target language, to be achieved. By means of a questionnaire, new students,
enrolled in a dual-degree program, evaluated various digital learning materials
intended for the development of foreign language, professional and
communication skills. The subject-specific, UNIcert®
III-level user survey indicates what materials should be provided in
order to develop students’ learning and communication skills, in addition to
specific language skills. The evaluation of the materials also gives clues as
to whether, with the help of wikis, students are ready and able to cooperatively make a
glossary and create transcripts of lectures in French. The results have been
used for the continuous development of web-based materials since 2002.
Key
words: Integrated French-German study programs, binational professional
and language skills, web-based teaching and learning materials, student
evaluation
Abstract
(Deutsch)
Im
Mittelpunkt des folgenden Beitrags steht die Evaluation von internetgestützten
Lehr- und Lernmaterialien zur Bewältigung hochschulbezogener Situationen in
französischer Sprache. Studierende erwarten von fachbezogenen Kursen, dass die
fremdsprachlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Teilnahme an
Lehrveranstaltungen sowie an den Prüfungen des Studienfachs in fach- und
landesspezifischer Ausprägung geschaffen werden. Erstsemester in einem
internationalen Studiengang[1]
beurteilten anhand eines mehrteiligen Fragebogens unterschiedlich konzipierte
digitale Medien zur integrierten Förderung fremdsprachlicher, fachlicher und
überfachlicher Kompetenzen. Die Nutzerbefragung in dem fachbezogenen Kurs auf
der Niveaustufe UNIcert® III soll Hinweise geben, welche Materialien
bereitgestellt werden müssen, um neben einer fachbezogenen Sprachkompetenz auch
Lernkompetenzen und soziale Kompetenzen der Studierenden zu entwickeln. Die
Evaluation soll auch Anhaltspunkte ergeben, ob die Studierenden bereit und
imstande sind, mit Hilfe von Wikis in selbstständiger, kooperativer Form eine
Fachvorlesung in französischer Sprache zu transkribieren und ein Glossar zu
erarbeiten. Die Ergebnisse dienen zur kontinuierlichen Weiterentwicklung des
seit 2002 eingesetzten Typs webbasierter Materialien[2].
Stichwörter: Integrierter deutsch-französischer
Studiengang, binationale Fach- und Sprachkompetenz, webbasierte Lehr- und
Lernmaterialien, Nutzerevaluierung
1
Konzeptionelle Leitvorstellungen
Neue Ziele im Fremdsprachenunterricht an Universitäten wie die
Rezeption von Fachvorlesungen oder die erfolgreiche Absolvierung von
Studienfachprüfungen in der Fremdsprache erfordern Kompetenzen, die weit über
das verbreitete Modell der vier skills
(Lado 1961) hinausgehen. Eine einheitliche Grundlage für die Konzeption von
fachsprachlichen Fremdsprachencurricula sowie Lehr- und Lernmaterialien bietet
das handlungsorientierte Modell des Gemeinsamen
Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Coste et al. 2001).
Sprachkompetenz wird als interagierendes Gefüge von mehreren Teilkompetenzen
zur Bewältigung kommunikativer Aufgaben beschrieben. Abrechenbare
Studienleistungen in internationalen Studiengängen erfordern Sprachwissen und
sprachliche Fertigkeiten der Rezeption, Produktion und Sprachmittlung,
deklaratives Wissen (Studienfachinhalte), prozedurales Wissen und weitere
überfachliche Kompetenzen (Eggensperger 2011).
Die integrierte Entwicklung einer mehrdimensionalen sprachlichen
Handlungskompetenz im Sinne des Gemeinsamen
Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) verlangt Alternativen zu
den traditionellen monologischen Vermittlungsformen der Hochschullehre. Die
meisten Fachwissenschaftler im internationalen Studiengang verstehen sich als
Experten, die die zu lernenden Inhalte durch Frontalunterricht vermitteln und
durch eine anschließende Klausur das Lernergebnis kontrollieren. Die
Studierenden nehmen eine weitgehend rezeptive Haltung ein. Selbstbestimmtes und
entdeckendes Lernen haben keinen Platz. Lernkompetenz und Sozialkompetenz
werden nicht gefördert. Dagegen sind die Lehr- und Lernmaterialien für den
studienfachbezogenen Fremdsprachenunterricht nach dem Leitprinzip des
problemorientierten Lernens konzipiert (Mandl et al. 1998). Als maßgebende
Gestaltungsprinzipien gelten die inhaltliche Relevanz und die Realitätsnähe des
Lernstoffes, eine Balance zwischen Instruktion und Konstruktion, die
Unterstützung selbstbestimmten, intrinsisch motivierten Lernens sowie die
soziale Einbindung der Lernenden.
2 Entwicklung multimedialer Materialien
Nach diesen Leitvorstellungen werden seit geraumer Zeit am Zentrum für
Sprachen und Schlüsselkompetenzen der Universität Potsdam multimediale
Lernumgebungen entwickelt und kontinuierlich im Unterricht erprobt. Das
Curriculum zum droit constitutionnel
(Verfassungsrecht) und die multimediale Lernumgebung wurden beschrieben (Eggensperger 2005a). Die Evaluation der Lernumgebung
bezog sich auf die Eignung der einzelnen Komponenten, die Studierenden zur
(fremd)sprachlichen Bewältigung hochschulspezifischer Situationen zu befähigen (Eggensperger 2005b). Aufgrund der überwiegend positiven Rückmeldungen wurden weitere Materialien zum fachbezogenen
Französischunterricht nach diesem Vorbild konzipiert. Das Curriculum zum
fachbezogenen Französischkurs Introduction
au droit français (Einführung in das französische Recht) bildete die
Grundlage für die Ausarbeitung und Erprobung einer multimedialen Lernumgebung
zu diesem Thema (Eggensperger 2010 und
Anhang 1). Die Studierenden werden in Inhalte und fremdsprachliche
Bezeichnungen folgender Materien eingeführt: Rechtsgebiete, politische
Institutionen der Ve République,
europäisches Gemeinschaftsrecht, Gerichtsorganisation, Träger und Hilfsorgane
der Rechtspflege, Rechtssubjekt, Rechtsfähigkeit, Vermögensrechte und Rechte
ohne Vermögenswert. Diese Materialien werden im Folgenden nach dem login und dem Passwort Kochbuch genannt. Integriert sind
zahlreiche anleitende und unterstützende Komponenten: Der Erwerb von Vorwissen
zur Vorbereitung auf die Rezeption der Fachvorlesung wird durch kurze,
zusammenfassende Texte zu jedem der genannten Themen erleichtert. Der
Audio-Mitschnitt der Fachvorlesung dient zum Erwerb von Grundwissen und zur Abfassung einer
Mitschrift (vgl. cours magistral
(Vorlesung) im Anhang 1). Der Vorlesungstext liegt den
Studierenden auch in schriftlicher Form vor. In den transkribierten Text sind
Übersetzungen von Fachbegriffen eingearbeitet. Es genügt ein Klick auf die blau
editierten Begriffe, und es erscheint ein kontextuell eingebettetes deutsches
Äquivalent. Ein nach
Sachgebieten zusammengestelltes Lernwörterbuch (vocabulaire thématique) und ein Glossar zum Nachschlagen (vocabulaire) unterstützen die selbstständige Arbeit.
Nachdem sich im Jahr 2007 die Universität Potsdam für die Nutzung von Moodle (Modular Object-Oriented Dynamic Learning Environment) als
Lernplattform entschieden hatte, eröffneten sich neue Möglichkeiten für die
Unterstützung kooperativer Lehr- und Lernmethoden durch netzbasierte
Materialien. Seit dem Studienjahr 2008 / 2009 wird deshalb Moodle für einen fachbezogenen Französischkurs zum Thema Histoire politique et sociale contemporaine
(Politische und soziale Geschichte Frankreichs) genutzt.
Die in die Lernplattform Moodle eingestellten Materialien zur Histoire politique et sociale contemporaine haben die Geschichte Frankreichs von den
Merowingern bis zu Napoléon unter
besonderer Berücksichtigung rechtsgeschichtlicher Aspekte, z.B. die Entstehung
des Code civil sowie die Entwicklung
des Gerichtswesens und der Verwaltungsstrukturen, zum Gegenstand. Im Vergleich
zum Kochbuch wurden die unterstützenden
Komponenten reduziert, um stärker das eigenverantwortliche Lernen durch
realistische Aufgabenstellungen in authentischen Situationen einzufordern.
Vorwissen zu den einzelnen Themen wird durch die Lösung von Aufgaben erworben,
die häufig Recherchen erfordern (vgl. die ersten drei Aufgaben in Anhang 2).
Darüber hinaus werden die Studierenden dazu angehalten, sowohl das
Vorlesungsskript als auch das Glossar in Kooperation zu erarbeiten (vgl. die
Aufgaben 9 und 10 in Anhang 2). Die Fragen zur Kontrolle des Hörverstehens
müssen selbstständig beantwortet werden, während im Kochbuch Musterantworten vorgegeben
sind.
3 Evaluation der multimedialen Materialien
3.1 Allgemeine Bemerkungen
Im Studienjahr 2009 / 2010 ergab sich die Möglichkeit, eine kleine
Gruppe von Studierenden zum Kochbuch und zu den in Moodle eingestellten Materialien zu befragen. Die 20
Studienanfänger hatten zunächst zwei Kapitel der Lernumgebung Introduction au droit français und
danach zwei Kapitel aus der Histoire
politique et sociale contemporaine bearbeitet. Es stellte sich die Frage,
wie die Studierenden auf die Unterschiede zwischen dem Kochbuch und den auf moodle
eingestellten Materialien reagieren.
Dieses spezifische Ziel erlaubte es nicht, erprobte
Erhebungsinstrumente wie den Lehrevaluationsbogen HILVE-2 zu nutzen
(Rindermann: 2009). Deshalb wurde ein mehrteiliger Fragebogen zusammengestellt,
der sich am Kompetenzmodell des GER orientierte. Die wichtigsten
Teilkompetenzen des Sprachvermögens im GER - das Sprachwissen, das deklarative
Wissen, die Lernfähigkeit und persönlichkeitsbezogene Kompetenzen - bildeten
die Qualitätsdimensionen[3]. Als
Qualitätsmerkmal diente die Eignung der Materialien, diese Kompetenzen zu
fördern. Wie bereits erwähnt, sollten beide Lehr- und Lernszenarien der realen
Sprachverwendungssituation möglichst nahe kommen, und beide sollten zu einer
fachbezogenen Sprachhandlungskompetenz für die Bewältigung hochschulbezogener
Situationen führen. Dieses übergreifende Qualitätsmerkmal wurde anhand von drei
Fragenkomplexen überprüft:
1. Tabelle 1-3 zum „Sprach- und Sachwissen“:
Wo
liegt bei den Lehr- und Lernmaterialien die angestrebte „Balance zwischen
Instruktion und Konstruktion“?
2. Tabelle 4 zur „Lernkompetenz“:
Wie
werden die Komponenten genutzt, die für die Anwendung von Lernstrategien
vorgesehen sind?
3. Tabelle 5 und 6 zur „Sozialkompetenz“:
In
welchem Maße wird vernetztes Arbeiten gefordert und gefördert?
Die einzelnen Formulierungen orientierten sich an einem Fragebogen von
Paechter (2006: 67). Die Wertungen erfolgten auf einer Skala von 1 (sehr
geeignet) bis 7 (ungeeignet).
3.2 Sprach- und Sachwissen
Die Rückmeldungen der Studierenden
in Tabelle 1-3 stellen ein klares Votum für die
anleitenden und unterstützenden Komponenten des Kochbuchs dar. Die Items 1-3 erhielten Noten zwischen 1,4 und 2,1,
d. h. „sehr gut“ bzw. „gut“. Dagegen wurden die Komponenten der Moodle-Materialien, die mehr Eigen- bzw.
Gruppeninitiative beim Erwerb neuen Wissens erfordern, deutlich schlechter
bewertet (vgl. Tabelle 2). Die Studierenden beurteilten die Items 6-8 mit 4,5 –
5,0, d.h. mit einem klaren Abstand von drei Punkten gegenüber dem Kochbuch.
Neben den bereits genannten Komponenten konnten die Studierenden in Moodle auf recht umfangreiche
Zusatzmaterialien zum Wissenserwerb zugreifen. Item 10 bezog sich auf
kommentierte Illustrationen und Bilder. Die relativ schwache Bewertung (3,7)
war identisch mit der Einschätzung der wesentlich geringeren Anzahl von
Zusatzmaterialien im Kochbuch (Item
5). Wahrscheinlich reichte die Zeit für den Erwerb nicht unmittelbar für die
Prüfung als relevant erachteten Wissens nicht aus:
1) Text der Vorlesung liegt vor
|
1,4
|
2) Vokabular bereits ausgearbeitet
|
2,1
|
3) Verständnisfragen mit Antworten
|
1,7
|
4) geringe Anzahl von Schemata
|
3,6
|
5) geringe Anzahl von
Zusatzmaterialien
|
3,7
|
Tab. 1: Sprach- und
Sachwissen Kochbuch
6) Gemeinsame Erarbeitung des Textes
|
4,5
|
7) Gemeinsame Erarbeitung des Glossars
|
4,5
|
8) Verständnisfragen ohne Antworten
|
5,0
|
9) große Anzahl von Schemata
|
1,7
|
10) zahlreiche Zusatzmaterialien
|
3,7
|
Tab. 2: Sprach- und
Sachwissen Moodle-Materialien
Insgesamt gesehen zogen die Studierenden zum Wissenserwerb einstimmig
das Kochbuch den Moodle-Materialien vor (vgl. Tabelle 3). Bei den Sachkenntnissen urteilten sie mit 2,3 bzw. 3,5; bei
den Sprachkenntnissen war der Abstand mit 3,0 zu 4,2 identisch. Alle befragten
Studierenden gaben unter diesem Aspekt dem Kochbuch
den Vorzug. Es hat nach diesen Ergebnissen zumindest den Anschein, dass
Studienanfänger zum Erwerb von Sprach- und Sachwissen
eigenverantwortliches, entdeckendes Lernen eher als Mühsal denn als
Herausforderung einschätzen.
Kochbuch
|
Moodle-Materialien
|
|
Insgesamt
bewerte ich meine erworbenen Sachkenntnisse mit
|
2,3
|
3,5
|
Insgesamt
bewerte ich meine erworbenen Sprachkenntnisse mit
|
3,0
|
4,2
|
Tab. 3: Gesamturteil zum Erwerb von Sach- und Sprachwissen
3.3 Lernkompetenz
Während die Items von Tabelle 1-3 vorwiegend Sprachwissen und
Studienfachwissen zum Gegenstand haben, beziehen sich die Fragen von Tabelle 4
auf prozedurales Wissen, insbesondere auf die Kenntnis von Lernstrategien. Im
Einzelnen handelt es sich um Organisationsstrategien, selektionsunterstützende
und metakognitive Strategien (Eggensperger 2011). Die Übung der Strategien wird
in den Unterrichtskontext eingebettet und erfolgt gemäß den Prinzipien des
indirekten Strategietrainings (Friedrich 1995: 140). Zur Anwendung der
Lernstrategien und damit zum beabsichtigten eingebetteten Training werden
verschiedene Komponenten bereitgestellt. Im Kochbuch
erfolgen die Vorwissensaktivierung bzw. der Erwerb von Vorwissen über Fragen,
die sich auf das entsprechende Kapitel der Vorlesung beziehen. Dabei sind die
Antworten bereits vorgegeben (vgl. im Anhang die Komponente exercices de compréhension). Die hohe
Bewertung für den Vorwissenserwerb im Kochbuch
(Item 11 mit 1,9) belegt die Nützlichkeit aus der Sicht der Studierenden. In den Moodle-Materialien
werden Elaborationsstrategien über unterschiedliche Aufgabenformate - z.B.
Zuordnungsaufgaben - geübt: Classez les
noms propres par ordre chronologique und Associez les éléments (vgl. im Anhang 2 die Aufgaben 2 und 3). Dies
erfordert wiederum mehr Eigeninitiative und Recherchearbeit, und Item 11 wurde
entsprechend mit 3,2 schlechter bewertet.
Die ausschließlich mündliche Instruktion zur Anfertigung einer
Vorlesungsmitschrift, die für die erfolgreiche Absolvierung der Prüfung von
großer Bedeutung ist, wurde im Kochbuch
als recht wenig nützlich eingeschätzt. Item 12 erhielt nur die Note 4,2. Die Moodle-Materialien enthalten einen Instruktionstext und ein Video aus
der Reihe Les Amphis
de France 5 mit einer ausführlichen Anleitung zum Notizenmachen[4]. Diese
Angebote wurden mit 4,0 etwas besser bewertet als das Kochbuch (Item 12).
Die erfolgreiche Anwendung von Organisationsstrategien betrifft sowohl
das Sprach- und das Sachwissen als auch die Lernkompetenz. Die Inhalte einer
Vorlesung graphisch darzustellen (vgl. Item 13), bedeutet, ihre Struktur und
damit die zwischen den Wissenselementen bestehenden Verknüpfungen zu erkennen.
Durch ihre Verbalisierung und die Übertragung in ein graphisches Symbolsystem -
z.B. mind maps, concept maps oder Begriffsschemata (vgl. Items 4 und 9) - wird der
Stoff auf das Wesentliche reduziert. Außerdem dienen die Begriffsschemata zur
Konsolidierung begrifflicher Strukturen und bilden damit eine Voraussetzung für
die Anwendung neu gelernten Wissens.
Die Studierenden bewerteten die große Anzahl von vorgegebenen
Begriffsschemata in den Moodle-Materialien
- mots clés et schémas heuristiques (vgl. Item 9) - mit 1,7
sehr positiv. Offensichtlich lernten sie, aus den verfügbaren Informationen grundlegende
Begriffe auszuwählen, sie in eine fachsystematische Ordnung zu bringen und sie
als Organisatoren von Fachwissen zu benutzen (vgl. Anhang 2, Nr. 11). Der wesentlich geringere Zuspruch zum Kochbuch (Item 4 mit 3,6) resultierte
wohl daraus, dass die mündliche Instruktion mit wenigen Beispielen nicht
ausreicht, um Organisationsstrategien zu erwerben. Die Rückmeldungen zu Item 13
waren dagegen nicht zufriedenstellend. Die Formulierung „Ich habe gelernt, die
Inhalte einer Vorlesung graphisch darzustellen“ erhielt zwar wiederum für die Moodle-Materialien eine höhere Bewertung
als für das Kochbuch. Aber die
niedrigen Werte (4,4 bzw. 4,6) lassen sich vielleicht auch damit erklären, dass
die Mehrheit der Studierenden keine Beziehung zwischen den Begriffsschemata und
der graphischen Darstellung der Vorlesungsinhalte erkannte.
Ich
habe gelernt
|
Kochbuch
|
Moodle-Materialien
|
11) mir Vorwissen zum besseren
Verständnis einer
Vorlesung anzueignen,
|
1,9
|
3,2
|
12) eine Vorlesungsmitschrift
anzufertigen,
|
4,2
|
4,0
|
13) die Inhalte einer Vorlesung
graphisch darzustellen.
|
4,6
|
4,4
|
14) Mein Globalverständnis habe
ich verbessert.
|
2,3
|
3,7
|
15) Mein Detailverständnis habe
ich verbessert.
|
2,6
|
3,9
|
16) Insgesamt bewerte ich den Zuwachs an
Lernkompetenz mit dem Kochbuch mit
|
2,6
|
4,0
|
Tab. 4: Lernfähigkeit
Mit den Items 14 und 15 zum Global- und Detailverständnis wurden
Rückmeldungen zu bekannten Lerntechniken wie Textunterstreichung, Markierung
oder Visualisierung gegeben. Das Kochbuch
stellte zur Übung offene Fragen bereit. In den Moodle-Materialien konnten darüber hinaus wahr-falsch und Mehrfach-Wahlfragen
zur Übung benutzt werden. Das Kochbuch schnitt sowohl beim Globalverständnis
als auch beim Detailverständnis besser ab. Insgesamt bewerteten die
Studierenden im Hinblick auf den Zuwachs an Lernkompetenz das Kochbuch mit 2,6 gegenüber 4,0 für die Moodle-Materialien wesentlich besser (vgl.
Item 16). Deshalb verwundert es nicht, dass 9 von 11 Studierenden dem Kochbuch in diesem Bereich den Vorzug
gaben.
Abschließend sollen noch kurz
Antworten zu Items erwähnt werden, die gegebenenfalls Rückschlüsse auf
metakognitive Lernstrategien zulassen, insbesondere auf die Überwachung des
Verständnisses während des Lernens (monitoring-Strategien).
Das Kochbuch ermöglichte den
Studierenden in größerem Maße, ihre Arbeit zu kontrollieren, als die Moodle-Materialien, z.B. durch das
Vorlesungsskript, die in den Vorlesungstext eingearbeitete Übersetzung von
Fachbegriffen, die Antworten auf die Fragen zum Verständnis der Vorlesung sowie
zum Global- und Detailverständnis. Der fehlende Zugriff auf – zumindest in den
Augen der Studierenden – sichere Referenzen in den Moodle Materialien dürfte zur Abwertung der entsprechenden
Komponenten beigetragen haben (vgl. Items 1 bis 3 (Tabelle 1) gegenüber Items 6
und 7 (Tabelle 2)).
3.3
Sozialkompetenz
Die Items der Tabellen 5 und 6
beziehen sich auf die Eignung der Lehr- und Lernmaterialien, vernetztes
Arbeiten zu fördern. Sozialkompetenz wird im vorliegenden Kontext beschränkt
auf die Fähigkeit, „kommunikativ und kooperativ selbst
organisiert zum erfolgreichen Realisieren oder Entwickeln von Zielen und Plänen
in sozialen Interaktionssituationen zu handeln“ (Kauffeld 2003: 178f). Sowohl
das Kochbuch als auch die Moodle-Materialien enthielten Aufgaben
für kooperative Lernformen. Aber nur die auf der Lernplattform bereitgestellten
Materialien erforderten - insbesondere aufgrund eines sehr engen zeitlichen
Rahmens und damit aus arbeitsökonomischen Gründen - die Zusammenarbeit der
Studierenden. Etwa 20 Stunden Vorlesung wurden innerhalb von drei Wochen durch
14 Kursteilnehmer arbeitsteilig transkribiert. Da Studierende in einführenden
Veranstaltungen oft Probleme mit der Aneignung der notwendigen Fachtermini
haben, sollten die Fachterminologie und ein Glossar der Abkürzungen ebenfalls
in gemeinschaftlicher Arbeit zusammengestellt werden. Außerdem enthielten die Moodle-Materialien Aufgaben zur
kooperativen freien Textproduktion zu prüfungsrelevanten Themen, die allerdings
wohl aus Zeitmangel kaum bearbeitet wurden (vgl. Anhang 2, Aufgaben 13 – 17).
Als Werkzeug zum kooperativen Lernen wurden Wikis benutzt. Im
Unterschied zur relativ unverbindlichen Nutzung von Wikis in Schreibwerkstätten
gingen die Studierenden eine Selbstverpflichtung ein, bis zu einem bestimmten
Termin ihre vom Autor konzipierten und organisierten, aber frei wählbaren
Aufgaben zu erledigen. Alle waren sowohl für das Lernen der Gruppe als auch für
ihr eigenes Lernen verantwortlich. Der individuelle Lernerfolg hing von der
Zusammenarbeit aller ab.
Die Rückmeldungen zu den Items 21 bzw. 17 („Ich habe Fertigkeiten in
der Teamarbeit erworben“) waren für die Moodle-Materialien
mit 3,9 etwas besser als für das Kochbuch mit 4,6. Die Items 19 und 23 wurden negativ
formuliert: „Das ‚Kochbuch‘ bzw. die Wikis eignen sich nicht für eine
Zusammenarbeit mit den Kommilitonen.“ Das bedeutet eine tendenzielle
Übereinstimmung mit den Antworten auf die Fragen 17 und 21, denn die Ablehnung
der Aussagen (Item 19 und 23) fiel für die Wikis mit 4,5 gegenüber 4,0 für das Kochbuch etwas deutlicher aus.
Die Items 18 und 22 bezogen sich auf Anregungen zum Dialog
mit dem Dozenten. Zahlreiche weiterführende Fragen sowohl im Kochbuch als auch in den Materialien auf
der Moodle-Plattform waren für Fragen
an den Dozenten bzw. Anmerkungen zu seinen Ausführungen geeignet. Die sehr
schwache Bewertung mit 4,7 bzw. 4,8 belegt, dass die Studierenden diesem Aspekt
wenig Beachtung schenkten. Der Dozent behielt die Rolle des Vortragenden, die
Studierenden diejenige der Zuhörer.
17)
Ich habe Fertigkeiten in der Teamarbeit erworben.
|
4,6
|
18)
Ich habe Anregungen zum Dialog mit dem Dozenten erhalten.
|
4,7
|
19) Das Kochbuch eignet sich nicht für eine
Zusammenarbeit mit Kommilitonen.
|
4,0
|
20)
Insgesamt bewerte ich den Zuwachs an Sozialkompetenz mit dem Kochbuch als
|
4,5
|
Tab. 5: Sozialkompetenz Kochbuch
21)
Ich habe Fertigkeiten in der Teamarbeit erworben.
|
3,9
|
22)
Ich habe Anregungen zum Dialog mit dem Dozenten erhalten.
|
4,8
|
23)
Die Wikis eignen sich nicht für eine Zusammenarbeit mit Kommilitonen.
|
4,5
|
24)
Insgesamt bewerte ich den Zuwachs an Sozialkompetenz mit den Moodle-Materialien als
|
4,3
|
Tab. 6 Sozialkompetenz Moodle-Materialien
Insgesamt bewerteten die Studierenden
den Zuwachs an Sozialkompetenz mit den Moodle-Materialien
mit 4,3 etwas höher als im Kochbuch
mit 4,5. Aber trotzdem zogen in dieser Hinsicht sechs Studierende das Kochbuch und fünf Studierende die Moodle-Materialien
vor.
4
Zusammenfassung
Im
Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags steht die Evaluation multimedialer Lehr-
und Lernmaterialien für mediengestütztes Lehren und Lernen durch Studierende in
einem fachbezogenen Kurs der Stufe UNIcert® III. Ohne Zweifel sind
die Ergebnisse aus forschungsmethodischer Sicht nur sehr begrenzt belastbar.
Allerdings wird auch in Zukunft die Anzahl der Rückmeldungen studentischer
Nutzerinnen und Nutzer zu vergleichbaren Materialien sehr gering bleiben. Damit
lassen sich im testtheoretischen Sinne valide Aussagen auch unter Anwendung
anerkannter statistischer Verfahren nicht erreichen. Aber die Qualität der
Lehr- und Lernmaterialien muss im Dialog mit den Studierenden kontinuierlich weiterentwickelt
werden, um ihre legitimen Erwartungen an fachbezogenen Fremdsprachenunterricht
zu erfüllen. Autoren von multimedialen Lernumgebungen müssen entscheiden, wie
viel Unterstützung erforderlich bzw. wie viel instruktionale Abstinenz der
Zielgruppe zumutbar ist, ohne Überforderung und Demotivation zu verursachen.
Auch die Pädagogische
Psychologie kann noch keine ausreichend empirisch fundierten Bedingungen für
die Gestaltung motivationsunterstützender Lehr- bzw. Lernbedingungen für
fachbezogene Fremdsprachenkurse angeben. Aber in Veröffentlichungen werden
immer wieder bestimmte Faktoren erwähnt, die selbstbestimmtes und intrinsisch
motiviertes Lernen fördern sollen. Handlungsorientiertes Lernen wird als
effizienter eingeschätzt als eine ausschließlich dozentenzentrierte, an der
Fachsystematik orientierte Darbietung (vgl. u.a. Kobler
(1998), Mandl et al. (1998) und Issing & Klimsa (2002)).
Die Evaluationsergebnisse lassen einige Rückschlüsse zu, die der
Weiterentwicklung der Materialien dienlich sind. Die inhaltliche Relevanz des
Lernstoffes, die Ähnlichkeit von Lern- und Anwendungssituation sowie die
Komponenten zur systematischen Wissensaneignung und Übungsmaterialien im Kochbuch
finden Anerkennung. Auch die Moodle-Materialien
fördern integrativ den Erwerb fremdsprachlichen, fachlichen und überfachlichen
Wissens, stellen aber höhere Anforderungen an das eigenverantwortliche Lernen.
Der Vergleich sollte verdeutlichen, ob die Passung stimmt bzw. wo eine
fremdsprachliche und inhaltliche Überforderung beginnt und die Realisierung der
Lernziele in Gefahr gerät. Offensichtlich gilt dies für die arbeitsteilige
Transkription der Vorlesung, die kooperative Zusammenstellung eines Glossars
der Fachbegriffe und die gemeinsame Bearbeitung von prüfungsrelevanten Fragen
mit Hilfe von Wikis. Die Rückmeldungen deuten außerdem darauf hin, dass die
Studierenden in den Moodle-Materialien
Komponenten zur eigenständigen Überwachung und zur Korrektur der eigenen
Leistungen vermissen, die ihnen im Kochbuch
zur Verfügung gestellt werden.
Die Rückmeldungen zu Tabelle 4 zeigen außerdem, dass zur Förderung von
Lernkompetenz sowohl reflexive Phasen mit mündlicher Instruktion und mündlichen
Rückmeldungen als auch Materialien für handlungsorientierte Phasen notwendig
sind, in denen die Applikation der Strategien erfolgt. Allerdings zeigen die –
steigerungsfähigen – Bewertungen, dass für den Erwerb und die Nutzung von
Lernstrategien kurzzeitiges Strategietraining nicht ausreicht, sondern es
langfristiger Gewohnheitsbildung bedarf.
Insgesamt gesehen, hat die Studie gezeigt, dass die Lehr- und
Lernmaterialentwicklung den enormen Anforderungen internationaler Studiengänge
durch Bereitstellung anleitender und unterstützender Materialien Rechnung
tragen muss. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass sich Studienanfänger erst
auf dem Wege hin zu eigenverantwortlichen und selbstorganisierten Lernern
befinden, die auch noch Strategien kooperativen Arbeitens beherrschen sollen.
Eine höhere Arbeitsteiligkeit der Lernprozesse erfordert darüber hinaus einen
verstärkten Koordinationsaufwand auch von studentischer Seite. Deshalb ist der
Einsatz von Wikis zur Förderung von Teamarbeit neu zu überdenken.
Anhänge
Anhang 1
ACQUIER Régine (1998).
http://www.canalu.tv/video/les_amphis_de_france_5/la_prise_de_notes_et_son_exploitation.246;
22.10.2012
Coste, Daniel / North, Brian / Trim, John in
Zusammenarbeit mit Sheils, Joseph (2001). Gemeinsamer
Europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen.
Übersetzung: Quetz, Jürgen in Zusammenarbeit mit Schieß, Raimund / Sköries,
Ulrike. Übersetzung der Skalen: Schneider, Günther. Straßburg, Europarat.
Eggensperger, Karl-Heinz (2002). Hyperlivre - cours hypermedia de droit
constitutionnel français (http://hb-droit-constitutionnel.spz.uni-potsdam.de/hyperbuch/Login.aspx;
20.10.2012).
Eggensperger, Karl-Heinz (2005a). E-learning
Materialien für bilinguale Studienprogramme. In: Zeitschrift für Hochschuldidaktik 04, 19-35.
Eggensperger, Karl-Heinz (2005b).
Hypermedia-Lernsystem zum fachbezogenen Französischunterricht. In: Pürschel,
Heiner / Tinnefeld, Thomas (Hrsg.) (2005). Moderner
Fremdsprachenerwerb zwischen Interkulturalität und Multimedia. Reflexionen und
Anregungen aus Wissenschaft und Praxis. Bochum: AKS-Verlag, 217-237.
Eggensperger, Karl-Heinz (2010). Cours de
français langue étrangère pour étudiants juristes au niveau UNIcert® II. In: Voss, Bernd (Hrsg.) UNIcert® Handbuch 2, Bochum: AKS Verlag, 205-216.
Eggensperger, Karl-Heinz (2011). Konzeptionelle
Grundlagen für fachbezogene UNIcert®-Ausbildungsprogramme. In: Fremdsprachen und Hochschule 83/84,
115-127.
Friedrich, Helmut Felix (1995). Analyse und
Förderung kognitiver Lernstrategien. In: Empirische
Pädagogik 9 (2), 115-153.
Friedrich, Helmut Felix / Mandl, Heinz
(2006). Lernstrategien: Zur Strukturierung des Forschungsfelds. In: Friedrich,
Helmut Felix / Mandl, Heinz (Hrsg.). Handbuch
Lernstrategien. Göttingen: Hogrefe, 1-23.
Hess-Fallon, Brigitte / Simon, Anne-Marie
(2003). Droit civil. Paris: Sirey.
Issing, Ludwig J. / Klimsa, Paul (Hrsg.)
(2002). Information und Lernen mit Multimedia und Internet. Weinheim: Beltz
PVU.
Kauffeld, Simone (2003). Weiterbildung:
Lohnende Investition in die berufliche Handlungskompetenz? In: Empirische Pädagogik, 17, 176-195.
Kobler, Britta (1998). Problemorientierte Gestaltung
von Lernumgebungen. Weinheim: Deutscher Studienverlag.
Lado, Robert
(1961). Language Testing: The Construction and Use of Foreign Language Tests. A
Teacher's Book. New York: McGraw-Hill.
Mandl, Heinz /
Reinmann-Rothmeier, Gabi / Gräsel, Cornelia (1998). Gutachten zur Vorbereitung des
Programms ‚Systematische Einbeziehung von Medien, Informations- und
Kommunikationstechnologien in Lehr- und Lernprozesse‘. Materialien zur Bildungsplanung und zur
Forschungsförderung, Heft 66. Bonn.
Paechter, Manuela (2006). Von der
didaktischen Vision zum messbaren Indikator; Entwicklung eines Qualitätssystems
für medienbasierte Lehre. In: Sindler, Alexandra (Hrsg.). Qualitätssicherung im
E-learning. Münster; New York; München; Berlin: Waxmann, 55-71.
Rindermann, Heiner (2009). Lehrevaluation:
Einführung und Überblick zu Forschung und Praxis der
Lehrveranstaltungsevaluation an Hochschulen mit einem Beitrag zur Evaluation
com-puterbasierten Unterrichts. Landau: Empirische
Pädagogik e.V., 2. Auflage.
[1] Deutsch-Französischer
Studiengang Rechtswissenschaften http://www.jura-potsdam-paris.de/ ;
30.12.2011.
[2] http://hb-droit-constitutionnel.spz.uni-potsdam.de/hyperbuch/Login.aspx; 30.12.2011.
[3] Allerdings wurden aus
Einfachheitsgründen andere Bezeichnungen verwendet: Teil 1-3 des Fragebogens
ist mit „Sprach- und Sachwissen“ überschrieben, Teil 4 mit „Lernkompetenz“,
Teil 5+6 mit „Sozialkompetenz“.
[4] http://www.canal-u.education.fr/canalu/producteurs/les_amphis_de_france_5/dossier_
programmes/sciences_de_l_education/des_methodes_pour_apprendre/la_prise_de_notes
_et_son_exploitation ;30.12.2011.