Wissenschaftlicher Sammelband, herausgegeben von Thomas Tinnefeld unter Mitarbeit von Ines-A. Busch-Lauer, Hans Giessen, Michael Langner, Adelheid Schumann. Saarbrücken: htw saar 2012. ISBN 978-3-942949-00-2.


Die Qualitätsentwicklung multimedialer Materialien für den fachbezogenen Fremdsprachenunterricht

Karl-Heinz Eggensperger (Potsdam)

Abstract (English)
The present paper focuses on the evaluation of web-based teaching and learning materials in integrated French-German study programs. As participants in specialized language courses, students expect the foreign language requirements for a successful participation in study programs conducted in the target language, to be achieved. By means of a questionnaire, new students, enrolled in a dual-degree program, evaluated various digital learning materials intended for the development of foreign language, professional and communication skills. The subject-specific, UNIcert® III-level user survey indicates what materials should be provided in order to develop students’ learning and communication skills, in addition to specific language skills. The evaluation of the materials also gives clues as to whether, with the help of wikis, students are  ready and able to cooperatively make a glossary and create transcripts of lectures in French. The results have been used for the continuous development of web-based materials since 2002.
Key words:    Integrated French-German study programs, binational professional and language skills, web-based teaching and learning materials, student evaluation

Abstract (Deutsch)
Im Mittelpunkt des folgenden Beitrags steht die Evaluation von internetgestützten Lehr- und Lernmaterialien zur Bewältigung hochschulbezogener Situationen in französischer Sprache. Studierende erwarten von fachbezogenen Kursen, dass die fremdsprachlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Teilnahme an Lehrveranstaltungen sowie an den Prüfungen des Studienfachs in fach- und landesspezifischer Ausprägung geschaffen werden. Erstsemester in einem internationalen Studiengang[1] beurteilten anhand eines mehrteiligen Fragebogens unterschiedlich konzipierte digitale Medien zur integrierten Förderung fremdsprachlicher, fachlicher und überfachlicher Kompetenzen. Die Nutzerbefragung in dem fachbezogenen Kurs auf der Niveaustufe UNIcert® III soll Hinweise geben, welche Materialien bereitgestellt werden müssen, um neben einer fachbezogenen Sprachkompetenz auch Lernkompetenzen und soziale Kompetenzen der Studierenden zu entwickeln. Die Evaluation soll auch Anhaltspunkte ergeben, ob die Studierenden bereit und imstande sind, mit Hilfe von Wikis in selbstständiger, kooperativer Form eine Fachvorlesung in französischer Sprache zu transkribieren und ein Glossar zu erarbeiten. Die Ergebnisse dienen zur kontinuierlichen Weiterentwicklung des seit 2002 eingesetzten Typs webbasierter Materialien[2]
Stichwörter: Integrierter deutsch-französischer Studiengang, binationale Fach- und Sprachkompetenz, webbasierte Lehr- und Lernmaterialien, Nutzerevaluierung



1   Konzeptionelle Leitvorstellungen

Neue Ziele im Fremdsprachenunterricht an Universitäten wie die Rezeption von Fachvorlesungen oder die erfolgreiche Absolvierung von Studienfachprüfungen in der Fremdsprache erfordern Kompetenzen, die weit über das verbreitete Modell der vier skills (Lado 1961) hinausgehen. Eine einheitliche Grundlage für die Konzeption von fachsprachlichen Fremdsprachencurricula sowie Lehr- und Lernmaterialien bietet das handlungsorientierte Modell des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Coste et al. 2001). Sprachkompetenz wird als interagierendes Gefüge von mehreren Teilkompetenzen zur Bewältigung kommunikativer Aufgaben beschrieben. Abrechenbare Studienleistungen in internationalen Studiengängen erfordern Sprachwissen und sprachliche Fertigkeiten der Rezeption, Produktion und Sprachmittlung, deklaratives Wissen (Studienfachinhalte), prozedurales Wissen und weitere überfachliche Kompetenzen (Eggensperger 2011).

Die integrierte Entwicklung einer mehrdimensionalen sprachlichen Handlungskompetenz im Sinne des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) verlangt Alternativen zu den traditionellen monologischen Vermittlungsformen der Hochschullehre. Die meisten Fachwissenschaftler im internationalen Studiengang verstehen sich als Experten, die die zu lernenden Inhalte durch Frontalunterricht vermitteln und durch eine anschließende Klausur das Lernergebnis kontrollieren. Die Studierenden nehmen eine weitgehend rezeptive Haltung ein. Selbstbestimmtes und entdeckendes Lernen haben keinen Platz. Lernkompetenz und Sozialkompetenz werden nicht gefördert. Dagegen sind die Lehr- und Lernmaterialien für den studienfachbezogenen Fremdsprachenunterricht nach dem Leitprinzip des problemorientierten Lernens konzipiert (Mandl et al. 1998). Als maßgebende Gestaltungsprinzipien gelten die inhaltliche Relevanz und die Realitätsnähe des Lernstoffes, eine Balance zwischen Instruktion und Konstruktion, die Unterstützung selbstbestimmten, intrinsisch motivierten Lernens sowie die soziale Einbindung der Lernenden.


2   Entwicklung multimedialer Materialien

Nach diesen Leitvorstellungen werden seit geraumer Zeit am Zentrum für Sprachen und Schlüsselkompetenzen der Universität Potsdam multimediale Lernumgebungen entwickelt und kontinuierlich im Unterricht erprobt. Das Curriculum zum droit constitutionnel (Verfassungsrecht) und die multimediale Lernumgebung wurden beschrieben (Eggensperger 2005a). Die Evaluation der Lernumgebung bezog sich auf die Eignung der einzelnen Komponenten, die Studierenden zur (fremd)sprachlichen Bewältigung hochschulspezifischer Situationen zu befähigen (Eggensperger 2005b). Aufgrund der überwiegend positiven Rückmeldungen wurden weitere Materialien zum fachbezogenen Französischunterricht nach diesem Vorbild konzipiert. Das Curriculum zum fachbezogenen Französischkurs Introduction au droit français (Einführung in das französische Recht) bildete die Grundlage für die Ausarbeitung und Erprobung einer multimedialen Lernumgebung zu diesem Thema (Eggensperger  2010 und Anhang 1). Die Studierenden werden in Inhalte und fremdsprachliche Bezeichnungen folgender Materien eingeführt: Rechtsgebiete, politische Institutionen der Ve République, europäisches Gemeinschaftsrecht, Gerichtsorganisation, Träger und Hilfsorgane der Rechtspflege, Rechtssubjekt, Rechtsfähigkeit, Vermögensrechte und Rechte ohne Vermögenswert. Diese Materialien werden im Folgenden nach dem login und dem Passwort Kochbuch genannt. Integriert sind zahlreiche anleitende und unterstützende Komponenten: Der Erwerb von Vorwissen zur Vorbereitung auf die Rezeption der Fachvorlesung wird durch kurze, zusammenfassende Texte zu jedem der genannten Themen erleichtert. Der Audio-Mitschnitt der Fachvorlesung dient zum Erwerb von Grundwissen und zur Abfassung einer Mitschrift (vgl. cours magistral (Vorlesung) im Anhang 1). Der Vorlesungstext liegt den Studierenden auch in schriftlicher Form vor. In den transkribierten Text sind Übersetzungen von Fachbegriffen eingearbeitet. Es genügt ein Klick auf die blau editierten Begriffe, und es erscheint ein kontextuell eingebettetes deutsches Äquivalent. Ein nach Sachgebieten zusammengestelltes Lernwörterbuch (vocabulaire thématique) und ein Glossar zum Nachschlagen (vocabulaire) unterstützen die selbstständige Arbeit.

Nachdem sich im Jahr 2007 die Universität Potsdam für die Nutzung von Moodle (Modular Object-Oriented Dynamic Learning Environment) als Lernplattform entschieden hatte, eröffneten sich neue Möglichkeiten für die Unterstützung kooperativer Lehr- und Lernmethoden durch netzbasierte Materialien. Seit dem Studienjahr 2008 / 2009 wird deshalb Moodle für einen fachbezogenen Französischkurs zum Thema Histoire politique et sociale contemporaine (Politische und soziale Geschichte Frankreichs) genutzt.

Die in die Lernplattform Moodle eingestellten Materialien zur Histoire politique et sociale contemporaine haben die Geschichte Frankreichs von den Merowingern bis zu Napoléon unter besonderer Berücksichtigung rechtsgeschichtlicher Aspekte, z.B. die Entstehung des Code civil sowie die Entwicklung des Gerichtswesens und der Verwaltungsstrukturen, zum Gegenstand. Im Vergleich zum Kochbuch wurden die unterstützenden Komponenten reduziert, um stärker das eigenverantwortliche Lernen durch realistische Aufgabenstellungen in authentischen Situationen einzufordern. Vorwissen zu den einzelnen Themen wird durch die Lösung von Aufgaben erworben, die häufig Recherchen erfordern (vgl. die ersten drei Aufgaben in Anhang 2). Darüber hinaus werden die Studierenden dazu angehalten, sowohl das Vorlesungsskript als auch das Glossar in Kooperation zu erarbeiten (vgl. die Aufgaben 9 und 10 in Anhang 2). Die Fragen zur Kontrolle des Hörverstehens müssen selbstständig beantwortet werden, während im Kochbuch Musterantworten vorgegeben sind.


3   Evaluation der multimedialen Materialien

3.1 Allgemeine Bemerkungen

Im Studienjahr 2009 / 2010 ergab sich die Möglichkeit, eine kleine Gruppe von Studierenden zum Kochbuch und zu den in Moodle eingestellten Materialien zu befragen. Die 20 Studienanfänger hatten zunächst zwei Kapitel der Lernumgebung Introduction au droit français und danach zwei Kapitel aus der Histoire politique et sociale contemporaine bearbeitet. Es stellte sich die Frage, wie die Studierenden auf die Unterschiede zwischen dem Kochbuch und den auf moodle eingestellten Materialien reagieren.

Dieses spezifische Ziel erlaubte es nicht, erprobte Erhebungsinstrumente wie den Lehrevaluationsbogen HILVE-2 zu nutzen (Rindermann: 2009). Deshalb wurde ein mehrteiliger Fragebogen zusammengestellt, der sich am Kompetenzmodell des GER orientierte. Die wichtigsten Teilkompetenzen des Sprachvermögens im GER - das Sprachwissen, das deklarative Wissen, die Lernfähigkeit und persönlichkeitsbezogene Kompetenzen - bildeten die Qualitätsdimensionen[3]. Als Qualitätsmerkmal diente die Eignung der Materialien, diese Kompetenzen zu fördern. Wie bereits erwähnt, sollten beide Lehr- und Lernszenarien der realen Sprachverwendungssituation möglichst nahe kommen, und beide sollten zu einer fachbezogenen Sprachhandlungskompetenz für die Bewältigung hochschulbezogener Situationen führen. Dieses übergreifende Qualitätsmerkmal wurde anhand von drei Fragenkomplexen überprüft:

1.     Tabelle 1-3 zum „Sprach- und Sachwissen“:
Wo liegt bei den Lehr- und Lernmaterialien die angestrebte „Balance zwischen Instruktion und Konstruktion“?

2.     Tabelle 4 zur „Lernkompetenz“:
Wie werden die Komponenten genutzt, die für die Anwendung von Lernstrategien vorgesehen sind?

3.     Tabelle 5 und 6 zur „Sozialkompetenz“:
In welchem Maße wird vernetztes Arbeiten gefordert und gefördert?
Die einzelnen Formulierungen orientierten sich an einem Fragebogen von Paechter (2006: 67). Die Wertungen erfolgten auf einer Skala von 1 (sehr geeignet) bis 7 (ungeeignet).


3.2  Sprach- und Sachwissen

Die Rückmeldungen der Studierenden in Tabelle 1-3 stellen ein klares Votum für die anleitenden und unterstützenden Komponenten des Kochbuchs dar. Die Items 1-3 erhielten Noten zwischen 1,4 und 2,1, d. h. „sehr gut“ bzw. „gut“. Dagegen wurden die Komponenten der Moodle-Materialien, die mehr Eigen- bzw. Gruppeninitiative beim Erwerb neuen Wissens erfordern, deutlich schlechter bewertet (vgl. Tabelle 2). Die Studierenden beurteilten die Items 6-8 mit 4,5 – 5,0, d.h. mit einem klaren Abstand von drei Punkten gegenüber dem Kochbuch.

Neben den bereits genannten Komponenten konnten die Studierenden in Moodle auf recht umfangreiche Zusatzmaterialien zum Wissenserwerb zugreifen. Item 10 bezog sich auf kommentierte Illustrationen und Bilder. Die relativ schwache Bewertung (3,7) war identisch mit der Einschätzung der wesentlich geringeren Anzahl von Zusatzmaterialien im Kochbuch (Item 5). Wahrscheinlich reichte die Zeit für den Erwerb nicht unmittelbar für die Prüfung als relevant erachteten Wissens nicht aus:



1) Text der Vorlesung liegt vor

1,4


  2) Vokabular bereits ausgearbeitet

2,1


  3) Verständnisfragen mit Antworten

1,7


  4) geringe Anzahl von Schemata

3,6


5) geringe Anzahl von Zusatzmaterialien

3,7

Tab. 1: Sprach- und Sachwissen Kochbuch



  6) Gemeinsame Erarbeitung des Textes

4,5


  7) Gemeinsame Erarbeitung des Glossars

4,5


  8) Verständnisfragen ohne Antworten

5,0


  9) große Anzahl von Schemata

1,7


10) zahlreiche Zusatzmaterialien

3,7


Tab. 2: Sprach- und Sachwissen Moodle-Materialien


Insgesamt gesehen zogen die Studierenden zum Wissenserwerb einstimmig das Kochbuch den Moodle-Materialien vor (vgl. Tabelle 3). Bei den Sachkenntnissen urteilten sie mit 2,3 bzw. 3,5; bei den Sprachkenntnissen war der Abstand mit 3,0 zu 4,2 identisch. Alle befragten Studierenden gaben unter diesem Aspekt dem Kochbuch den Vorzug. Es hat nach diesen Ergebnissen zumindest den Anschein, dass Studienanfänger zum Erwerb von Sprach- und Sachwissen eigenverantwortliches, entdeckendes Lernen eher als Mühsal denn als Herausforderung einschätzen.



Kochbuch

Moodle-Materialien


Insgesamt bewerte ich meine erworbenen Sachkenntnisse mit


2,3

3,5

Insgesamt bewerte ich meine erworbenen Sprachkenntnisse mit


3,0

4,2

Tab. 3: Gesamturteil zum Erwerb von Sach- und Sprachwissen



3.3  Lernkompetenz

Während die Items von Tabelle 1-3 vorwiegend Sprachwissen und Studienfachwissen zum Gegenstand haben, beziehen sich die Fragen von Tabelle 4 auf prozedurales Wissen, insbesondere auf die Kenntnis von Lernstrategien. Im Einzelnen handelt es sich um Organisationsstrategien, selektionsunterstützende und metakognitive Strategien (Eggensperger 2011). Die Übung der Strategien wird in den Unterrichtskontext eingebettet und erfolgt gemäß den Prinzipien des indirekten Strategietrainings (Friedrich 1995: 140). Zur Anwendung der Lernstrategien und damit zum beabsichtigten eingebetteten Training werden verschiedene Komponenten bereitgestellt. Im Kochbuch erfolgen die Vorwissensaktivierung bzw. der Erwerb von Vorwissen über Fragen, die sich auf das entsprechende Kapitel der Vorlesung beziehen. Dabei sind die Antworten bereits vorgegeben (vgl. im Anhang die Komponente exercices de compréhension). Die hohe Bewertung für den Vorwissenserwerb im Kochbuch (Item 11 mit 1,9) belegt die Nützlichkeit aus der Sicht der Studierenden. In den Moodle-Materialien werden Elaborationsstrategien über unterschiedliche Aufgabenformate - z.B. Zuordnungsaufgaben - geübt: Classez les noms propres par ordre chronologique und Associez les éléments (vgl. im Anhang 2 die Aufgaben 2 und 3). Dies erfordert wiederum mehr Eigeninitiative und Recherchearbeit, und Item 11 wurde entsprechend mit 3,2 schlechter bewertet.

Die ausschließlich mündliche Instruktion zur Anfertigung einer Vorlesungsmitschrift, die für die erfolgreiche Absolvierung der Prüfung von großer Bedeutung ist, wurde im Kochbuch als recht wenig nützlich eingeschätzt. Item 12 erhielt nur die Note 4,2. Die Moodle-Materialien enthalten einen Instruktionstext und ein Video aus der Reihe Les Amphis de France 5 mit einer ausführlichen Anleitung zum Notizenmachen[4]. Diese Angebote wurden mit 4,0 etwas besser bewertet als das Kochbuch (Item 12).

Die erfolgreiche Anwendung von Organisationsstrategien betrifft sowohl das Sprach- und das Sachwissen als auch die Lernkompetenz. Die Inhalte einer Vorlesung graphisch darzustellen (vgl. Item 13), bedeutet, ihre Struktur und damit die zwischen den Wissenselementen bestehenden Verknüpfungen zu erkennen. Durch ihre Verbalisierung und die Übertragung in ein graphisches Symbolsystem - z.B. mind maps, concept maps oder Begriffsschemata (vgl. Items 4 und 9) - wird der Stoff auf das Wesentliche reduziert. Außerdem dienen die Begriffsschemata zur Konsolidierung begrifflicher Strukturen und bilden damit eine Voraussetzung für die Anwendung neu gelernten Wissens.
Die Studierenden bewerteten die große Anzahl von vorgegebenen Begriffsschemata in den Moodle-Materialien - mots clés et schémas heuristiques (vgl. Item 9) - mit 1,7 sehr positiv. Offensichtlich lernten sie, aus den verfügbaren Informationen grundlegende Begriffe auszuwählen, sie in eine fachsystematische Ordnung zu bringen und sie als Organisatoren von Fachwissen zu benutzen (vgl. Anhang 2, Nr. 11). Der wesentlich geringere Zuspruch zum Kochbuch (Item 4 mit 3,6) resultierte wohl daraus, dass die mündliche Instruktion mit wenigen Beispielen nicht ausreicht, um Organisationsstrategien zu erwerben. Die Rückmeldungen zu Item 13 waren dagegen nicht zufriedenstellend. Die Formulierung „Ich habe gelernt, die Inhalte einer Vorlesung graphisch darzustellen“ erhielt zwar wiederum für die Moodle-Materialien eine höhere Bewertung als für das Kochbuch. Aber die niedrigen Werte (4,4 bzw. 4,6) lassen sich vielleicht auch damit erklären, dass die Mehrheit der Studierenden keine Beziehung zwischen den Begriffsschemata und der graphischen Darstellung der Vorlesungsinhalte erkannte.


Ich habe gelernt


Kochbuch

Moodle-Materialien

11) mir Vorwissen zum besseren Verständnis einer
       Vorlesung anzueignen,

1,9

3,2


12) eine Vorlesungsmitschrift anzufertigen,

4,2

4,0


13) die Inhalte einer Vorlesung graphisch darzustellen.

4,6

4,4


14) Mein Globalverständnis habe ich verbessert.

2,3

3,7


15) Mein Detailverständnis habe ich verbessert.

2,6

3,9


16) Insgesamt bewerte ich den Zuwachs an
      Lernkompetenz mit dem Kochbuch mit


2,6

4,0

Tab. 4: Lernfähigkeit

Mit den Items 14 und 15 zum Global- und Detailverständnis wurden Rückmeldungen zu bekannten Lerntechniken wie Textunterstreichung, Markierung oder Visualisierung gegeben. Das Kochbuch stellte zur Übung offene Fragen bereit. In den Moodle-Materialien konnten darüber hinaus wahr-falsch und Mehrfach-Wahlfragen zur Übung benutzt werden. Das Kochbuch schnitt sowohl beim Globalverständnis als auch beim Detailverständnis besser ab. Insgesamt bewerteten die Studierenden im Hinblick auf den Zuwachs an Lernkompetenz das Kochbuch mit 2,6 gegenüber 4,0 für die Moodle-Materialien wesentlich besser (vgl. Item 16). Deshalb verwundert es nicht, dass 9 von 11 Studierenden dem Kochbuch in diesem Bereich den Vorzug gaben. 

Abschließend sollen noch kurz Antworten zu Items erwähnt werden, die gegebenenfalls Rückschlüsse auf metakognitive Lernstrategien zulassen, insbesondere auf die Überwachung des Verständnisses während des Lernens (monitoring-Strategien). Das Kochbuch ermöglichte den Studierenden in größerem Maße, ihre Arbeit zu kontrollieren, als die Moodle-Materialien, z.B. durch das Vorlesungsskript, die in den Vorlesungstext eingearbeitete Übersetzung von Fachbegriffen, die Antworten auf die Fragen zum Verständnis der Vorlesung sowie zum Global- und Detailverständnis. Der fehlende Zugriff auf – zumindest in den Augen der Studierenden – sichere Referenzen in den Moodle Materialien dürfte zur Abwertung der entsprechenden Komponenten beigetragen haben (vgl. Items 1 bis 3 (Tabelle 1) gegenüber Items 6 und 7 (Tabelle 2)).


3.3  Sozialkompetenz

Die Items der Tabellen 5 und 6 beziehen sich auf die Eignung der Lehr- und Lernmaterialien, vernetztes Arbeiten zu fördern. Sozialkompetenz wird im vorliegenden Kontext beschränkt auf die Fähigkeit, „kommunikativ und kooperativ selbst organisiert zum erfolgreichen Realisieren oder Entwickeln von Zielen und Plänen in sozialen Interaktionssituationen zu handeln“ (Kauffeld 2003: 178f). Sowohl das Kochbuch als auch die Moodle-Materialien enthielten Aufgaben für kooperative Lernformen. Aber nur die auf der Lernplattform bereitgestellten Materialien erforderten - insbesondere aufgrund eines sehr engen zeitlichen Rahmens und damit aus arbeitsökonomischen Gründen - die Zusammenarbeit der Studierenden. Etwa 20 Stunden Vorlesung wurden innerhalb von drei Wochen durch 14 Kursteilnehmer arbeitsteilig transkribiert. Da Studierende in einführenden Veranstaltungen oft Probleme mit der Aneignung der notwendigen Fachtermini haben, sollten die Fachterminologie und ein Glossar der Abkürzungen ebenfalls in gemeinschaftlicher Arbeit zusammengestellt werden. Außerdem enthielten die Moodle-Materialien Aufgaben zur kooperativen freien Textproduktion zu prüfungsrelevanten Themen, die allerdings wohl aus Zeitmangel kaum bearbeitet wurden (vgl. Anhang 2, Aufgaben 13 – 17).

Als Werkzeug zum kooperativen Lernen wurden Wikis benutzt. Im Unterschied zur relativ unverbindlichen Nutzung von Wikis in Schreibwerkstätten gingen die Studierenden eine Selbstverpflichtung ein, bis zu einem bestimmten Termin ihre vom Autor konzipierten und organisierten, aber frei wählbaren Aufgaben zu erledigen. Alle waren sowohl für das Lernen der Gruppe als auch für ihr eigenes Lernen verantwortlich. Der individuelle Lernerfolg hing von der Zusammenarbeit aller ab.

Die Rückmeldungen zu den Items 21 bzw. 17 („Ich habe Fertigkeiten in der Teamarbeit erworben“) waren für die Moodle-Materialien mit 3,9 etwas besser als für das Kochbuch mit 4,6. Die Items 19 und 23 wurden negativ formuliert: „Das ‚Kochbuch‘ bzw. die Wikis eignen sich nicht für eine Zusammenarbeit mit den Kommilitonen.“ Das bedeutet eine tendenzielle Übereinstimmung mit den Antworten auf die Fragen 17 und 21, denn die Ablehnung der Aussagen (Item 19 und 23) fiel für die Wikis mit 4,5 gegenüber 4,0 für das Kochbuch etwas deutlicher aus.

Die Items 18 und 22 bezogen sich auf Anregungen zum Dialog mit dem Dozenten. Zahlreiche weiterführende Fragen sowohl im Kochbuch als auch in den Materialien auf der Moodle-Plattform waren für Fragen an den Dozenten bzw. Anmerkungen zu seinen Ausführungen geeignet. Die sehr schwache Bewertung mit 4,7 bzw. 4,8 belegt, dass die Studierenden diesem Aspekt wenig Beachtung schenkten. Der Dozent behielt die Rolle des Vortragenden, die Studierenden diejenige der Zuhörer.


17) Ich habe Fertigkeiten in der Teamarbeit erworben.


4,6

18) Ich habe Anregungen zum Dialog mit dem Dozenten erhalten.


4,7

19) Das Kochbuch eignet sich nicht für eine Zusammenarbeit mit Kommilitonen.


4,0

20) Insgesamt bewerte ich den Zuwachs an Sozialkompetenz mit dem Kochbuch als


4,5

Tab. 5: Sozialkompetenz Kochbuch



21) Ich habe Fertigkeiten in der Teamarbeit erworben.


3,9

22) Ich habe Anregungen zum Dialog mit dem Dozenten erhalten.


4,8

23) Die Wikis eignen sich nicht für eine Zusammenarbeit mit Kommilitonen.


4,5

24) Insgesamt bewerte ich den Zuwachs an Sozialkompetenz mit den Moodle-Materialien als


4,3

Tab. 6 Sozialkompetenz Moodle-Materialien

Insgesamt bewerteten die Studierenden den Zuwachs an Sozialkompetenz mit den Moodle-Materialien mit 4,3 etwas höher als im Kochbuch mit 4,5. Aber trotzdem zogen in dieser Hinsicht sechs Studierende das Kochbuch und fünf Studierende die Moodle-Materialien vor.
                                                                                               

4   Zusammenfassung

Im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags steht die Evaluation multimedialer Lehr- und Lernmaterialien für mediengestütztes Lehren und Lernen durch Studierende in einem fachbezogenen Kurs der Stufe UNIcert® III. Ohne Zweifel sind die Ergebnisse aus forschungsmethodischer Sicht nur sehr begrenzt belastbar. Allerdings wird auch in Zukunft die Anzahl der Rückmeldungen studentischer Nutzerinnen und Nutzer zu vergleichbaren Materialien sehr gering bleiben. Damit lassen sich im testtheoretischen Sinne valide Aussagen auch unter Anwendung anerkannter statistischer Verfahren nicht erreichen. Aber die Qualität der Lehr- und Lernmaterialien muss im Dialog mit den Studierenden kontinuierlich weiterentwickelt werden, um ihre legitimen Erwartungen an fachbezogenen Fremdsprachenunterricht zu erfüllen. Autoren von multimedialen Lernumgebungen müssen entscheiden, wie viel Unterstützung erforderlich bzw. wie viel instruktionale Abstinenz der Zielgruppe zumutbar ist, ohne Überforderung und Demotivation zu verursachen.

Auch die Pädagogische Psychologie kann noch keine ausreichend empirisch fundierten Bedingungen für die Gestaltung motivationsunterstützender Lehr- bzw. Lernbedingungen für fachbezogene Fremdsprachenkurse angeben. Aber in Veröffentlichungen werden immer wieder bestimmte Faktoren erwähnt, die selbstbestimmtes und intrinsisch motiviertes Lernen fördern sollen. Handlungsorientiertes Lernen wird als effizienter eingeschätzt als eine ausschließlich dozentenzentrierte, an der Fachsystematik orientierte Darbietung (vgl. u.a. Kobler (1998), Mandl et al. (1998) und Issing & Klimsa (2002)).

Die Evaluationsergebnisse lassen einige Rückschlüsse zu, die der Weiterentwicklung der Materialien dienlich sind. Die inhaltliche Relevanz des Lernstoffes, die Ähnlichkeit von Lern- und Anwendungssituation sowie die Komponenten zur systematischen Wissensaneignung und Übungsmaterialien im Kochbuch finden Anerkennung. Auch die Moodle-Materialien fördern integrativ den Erwerb fremdsprachlichen, fachlichen und überfachlichen Wissens, stellen aber höhere Anforderungen an das eigenverantwortliche Lernen.

Der Vergleich sollte verdeutlichen, ob die Passung stimmt bzw. wo eine fremdsprachliche und inhaltliche Überforderung beginnt und die Realisierung der Lernziele in Gefahr gerät. Offensichtlich gilt dies für die arbeitsteilige Transkription der Vorlesung, die kooperative Zusammenstellung eines Glossars der Fachbegriffe und die gemeinsame Bearbeitung von prüfungsrelevanten Fragen mit Hilfe von Wikis. Die Rückmeldungen deuten außerdem darauf hin, dass die Studierenden in den Moodle-Materialien Komponenten zur eigenständigen Überwachung und zur Korrektur der eigenen Leistungen vermissen, die ihnen im Kochbuch zur Verfügung gestellt werden.

Die Rückmeldungen zu Tabelle 4 zeigen außerdem, dass zur Förderung von Lernkompetenz sowohl reflexive Phasen mit mündlicher Instruktion und mündlichen Rückmeldungen als auch Materialien für handlungsorientierte Phasen notwendig sind, in denen die Applikation der Strategien erfolgt. Allerdings zeigen die – steigerungsfähigen – Bewertungen, dass für den Erwerb und die Nutzung von Lernstrategien kurzzeitiges Strategietraining nicht ausreicht, sondern es langfristiger Gewohnheitsbildung bedarf.

Insgesamt gesehen, hat die Studie gezeigt, dass die Lehr- und Lernmaterialentwicklung den enormen Anforderungen internationaler Studiengänge durch Bereitstellung anleitender und unterstützender Materialien Rechnung tragen muss. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass sich Studienanfänger erst auf dem Wege hin zu eigenverantwortlichen und selbstorganisierten Lernern befinden, die auch noch Strategien kooperativen Arbeitens beherrschen sollen. Eine höhere Arbeitsteiligkeit der Lernprozesse erfordert darüber hinaus einen verstärkten Koordinationsaufwand auch von studentischer Seite. Deshalb ist der Einsatz von Wikis zur Förderung von Teamarbeit neu zu überdenken.


Anhänge
Anhang 1

Anhang 2

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[1] Deutsch-Französischer Studiengang Rechtswissenschaften http://www.jura-potsdam-paris.de/ ; 30.12.2011.
[2]  http://hb-droit-constitutionnel.spz.uni-potsdam.de/hyperbuch/Login.aspx; 30.12.2011.
[3]  Allerdings wurden aus Einfachheitsgründen andere Bezeichnungen verwendet: Teil 1-3 des Fragebogens ist mit „Sprach- und Sachwissen“ überschrieben, Teil 4 mit „Lernkompetenz“, Teil 5+6 mit „Sozialkompetenz“.
[4] http://www.canal-u.education.fr/canalu/producteurs/les_amphis_de_france_5/dossier_
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_et_son_exploitation ;30.12.2011.