Interkulturelle Kompetenz –
Bedarfsanalyse
in der Lehrerausbildung und Umsetzungsmöglichkeiten
am Beispiel der handlungsorientierten Ansätze
Theaterspiel und Produktive Medienarbeit
Maria A. Marchwacka (Paderborn)
„Kompetenzen
werden von Wissen fundiert,
durch Werte konstituiert, als Fähigkeiten
disponiert,
durch Erfahrungen konsolidiert, aufgrund von Willen
realisiert.“
(Erpenbeck 2000: 58)
Abstract (English)
The present contribution discusses
and demonstrates the necessity to establish the acquisition of intercultural
interaction competence as an integral part of teacher training in the area of
foreign languages. The first part of the paper describes the results of a
survey investigating the attitudes of German managers on the one hand and those
of teachers and students of German in Poland on the other towards
intercultural competency and the discrepancy between theory and practice
existing in this context. The second part of the paper spotlights potential methods
for the development of interactive strategies to be applied in intercultural
situations in which the problems exposed in the first part might be solved on
the basis of these strategies. The methods used are theatre plays and
productive media work which address the understanding of ‘the Other’, the
change of perspective, and students’ sensitisation. Their objective consists in
dealing with intercultural misunderstandings, critical situations as well as
situations of conflict in a theory-based and experience-oriented way and in
contributing to the acquisition of interaction competence in language teaching.
Key words: Intercultural
(interaction) competence, interaction strategies, teacher training, German as a
foreign language, understanding ‘the Other’, change of perspective,
sensitisation, theatre play, media work
Abstract (Deutsch)
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Notwendigkeit,
den Erwerb interkultureller Handlungskompetenz
als Bestandteil der Lehrerausbildung im Fremdsprachenbereich zu etablieren. Im
ersten Teil werden die Ergebnisse einer Befragung deutscher Führungskräfte
sowie von DaF-Lehrkräften und Studierenden in Polen im Hinblick auf ihre
Einstellung zu interkultureller Kompetenz sowie die daraus resultierende
Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis geschildert. Im zweiten Teil werden
didaktische Methoden zur Entwicklung von Handlungsstrategien in interkulturellen
Situationen in den Blickpunkt gerückt, die dazu geeignet sein können, dem im
ersten Teil beschriebenen Problem zu begegnen. Ziel der vorgestellten Methoden
– Theaterspiel und produktive Medienarbeit, bei denen es um Fremdverstehen,
Perspektivenwechsel und Sensibilisierung geht – ist es, Missverständnisse,
kritische Ereignisse und Konfliktsituationen theoriegeleitet und
erfahrungsorientiert zu erproben und somit zum Erwerb interkultureller
Handlungskompetenz im Unterricht beizutragen.
Stichwörter: interkulturelle
(Handlungs)Kompetenz, Handlungsstrategien, Lehrerausbildung, DaF,
Fremdverstehen, Perspektivenwechsel, Sensibilisierung, Theaterspiel,
Medienarbeit.
1 Überschneidungssituationen
und Fremdkommunikation
Wachsende
Mobilität auf dem Arbeitsmarkt sowie Studentenaustausch und Praktika, aber auch
zahlreiche politische und wirtschaftliche Kooperationen im kulturellen und
gesellschaftlichen Bereich setzen neben Fachwissen und Fremdsprachenkenntnissen
gegenseitige Verständigung und interkulturelle Kompetenz voraus, ohne die internationale
Zusammenarbeit nur bedingt möglich ist. Im Kontext von Situationen auf
internationaler Ebene ist darauf hinzuweisen, dass lexikalisch-grammatische
Sprachkenntnisse allein keine Garantie für den Erfolg auf dem internationalen
Arbeitsmarkt darstellen, da Sprache untrennbar mit kultureller Sozialisation
verbunden ist und Missverständnisse auf der kommunikativen und
sozio-kulturellen Ebene entstehen können, so dass Handlungsstrategien für die
interkulturelle Arbeit entwickelt werden müssen.
In Anbetracht der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Anforderungen sollte man in der gegenwärtigen Fremdsprachenvermittlung
Konsequenzen ziehen und primär Fremdkommunikation fokussieren: Nicht mehr die
grammatisch-lexikalische Sprachvermittlung sollte im Mittelpunkt der
Fremdsprachendidaktik stehen, sondern das praxisbezogene
Kommunizieren im interkulturellen Kontext. Deshalb kommt der
interkulturellen Kompetenz beim Fremdsprachenerwerb Priorität zu, denn
Mobilität ist ohne adäquate Sprachkenntnisse und ohne adäquates Fremdverstehen
ineffizient. Bei der Vermittlung interkultureller Kompetenzen sind insbesondere
handlungsorientierte Methoden einzubeziehen, die zwar auch kognitive
Komponenten implizieren, jedoch den Schwerpunkt auf die affektiven Fähigkeiten
legen.
2 Anforderungen
an den DaF-Unterricht in Polen – Forschungs-ergebnisse
Bereits in den 1960er und 1970er Jahren stand im
Mittelpunkt der Fremdsprachendidaktik in Polen die Frage, wie das
Bildungssystem dem Arbeitsmarkt gerecht werden kann (Lauritzen 2005: 10). Der
mangelnde Praxisbezug im Studium wird nach wie vor kritisiert; die Lehrmethoden
und die zu erwerbenden Fertigkeiten werden nicht mit den realen Bedürfnissen
von Wirtschaft und Gesellschaft in Einklang gebracht. Noch immer dominieren der
Frontalunterricht und das Auswendiglernen in der Unterrichtsdidaktik, anstatt
dass die Lernenden interaktive Aufgaben und Fallbeispiele bearbeiten und
schließlich kommunikative Handlungskompetenzen erwerben.
Nachfolgend werden die Ergebnisse einer explorativen Studie aus den Jahren
2007 / 2008 skizziert, die auf der Grundlage von Interviews mit deutschen
Führungskräften in Polen und mit Lehrkräften an Wirtschaftlichen und
Technischen Hochschulen in den drei Großstädten Warschau, Posen und Danzig
durchgeführt wurde[1]. Hierzu wird der Frage
nachgegangen, welchen Stellenwert der interkulturellen Kompetenz im
DaF-Unterricht sowie auf dem gegenwärtigen Arbeitsmarkt in Polen eingeräumt
wird.
2.1 Die Einstellung deutscher
Führungskräfte zur interkulturellen Kompetenz
Die befragten deutschen Führungskräfte in Polen verweisen
mit Blick auf interkulturelle Begegnungen einstimmig auf die bedeutsame Rolle
der Kultur neben der Sprache, wie das folgende Zitat beispielhaft illustriert:
Sprache ist ein scharfes Schwert, aber ohne
Verständnis kann ich wenig damit erreichen. (U1)
Interkulturelles Training im Sinne von Vermittlung der Kulturstandards wird
von den befragten Unternehmern prinzipiell als ineffizient angesehen, da
derartige Trainings die nationalen Eigenschaften als starre, theoretische
Konstrukte zu vermitteln suchen, die in Wirklichkeit nie in dieser Form zu
finden sind. Innerhalb einer Gesellschaft leben verschiedene Kulturen
nebeneinander und sind miteinander verknüpft, sodass eine vollständige
Übereinstimmung des kulturellen Normensystems nicht existieren kann. Folglich hält die Mehrheit der Befragten die von uns
angesprochenen Studien und Wegweiser u.a. von Hofstede und Flader (Hofstede
1993, 2001, Flader 2006, 2008, Wojciechowski 2002) für wenig realistisch und nutzbar, weil die darin
behandelten Situationen in der Praxis nicht exakt in dieser Form anzutreffen
sind und selten konstant verlaufen. Infolgedessen werden kulturelle Ratgeber
von der Führungsebene mit Nachdruck kritisiert:
Also ich kann Ihnen nur dazu sagen, was diese
Kniggen anbetrifft (…) Bevor ich hierher kam, hat man mich in ein privates
Institut geschickt. Dort lernt man eine Woche lang; man wird vorbereitet auf
den Einsatz in dem neuen Land. Da lernt man solche Unterschiede und solche
Fettnäpfchen kennen (...) Da kann ich nur sagen, dass 80 % von dem, was ich
dort gelernt habe, absoluter Blödsinn war, absolute Theorie und absoluter
Quatsch, von dem ich hier [in Polen] nichts wiedergefunden habe. (U2)
Ich glaube, dass jemand, der das geschrieben hat,
reiner Theoretiker ist und sich mit der heutigen realen Welt nicht mehr
auskennt. Ich habe z.B. gelernt, man darf nie einer polnischen Frau die Hand
geben und man muss also noch mit Handkuss arbeiten. Solche Sachen, die kommen aus
einem Knigge, also einen größeren Blödsinn habe ich hier überhaupt noch nie
kennen gelernt. (U3)
Die Probanden betonen, dass das Lernen über die
Kultur sogar zu Schwierigkeiten führen kann, weil die Erwartungshaltung durch
erlernte Kulturstandards erhöht wird. Diese Ansicht ist insofern wichtig, als
sie im Geschäftsleben zu einer doppelten Frustration beitragen kann: Einerseits
ist bei einer interkulturellen Situation immer mit einer gewissen
Andersartigkeit jedes Individuums zu rechnen, andererseits impliziert die
Vorbereitung auf die neue Kultur bestimmte Erwartungen, die jedoch
selten erfüllt werden, so dass das Gegenteil des angestrebten Effekts eintreten
kann. Hier verweisen die Unternehmer auf die Notwendigkeit der Kooperation
zwischen Theorie und Praxis, die bei der Entwicklung von Trainings erforderlich
wird, wenn diese in der Praxis Nutzen bringen sollen.
Insbesondere diejenigen Unternehmer, die in Polen seit mehreren Jahren
ansässig sind bzw. die mehrere Auslandseinsätze in unterschiedlichen Ländern
vorweisen können, heben die soziale und persönliche Kompetenz hervor. Diese
Gruppe stellt auch häufiger internationale Ratgeber („Kniggen“) in Frage, mit
der Begründung, dass die Vermittlung von normativen Aussagen nicht die Lösung
für eine gute Integration in eine internationale Firma darstellt, sondern dass
vielmehr Sensibilisierung gefragt ist, die von Menschen mit eigenen Erfahrungen
sowie deren Persönlichkeit abhängt:
Ich glaube nicht, dass das was mit Kultur zu tun
hat. Das hat mehr mit dem Individuum, mit dem Menschen zu tun und seiner
Persönlichkeit. (U4)
Ich meine nicht die Kultur, sondern gewisse
Verhaltensregeln; es geht mir nicht um die Kultur, sondern um das Verhalten, um
die sozialen Kompetenzen. (U1)
Ihren Erwartungen entsprechend, fordern die befragten
Führungskräfte von jungen Absolventen (d.h. potenziellen
Mitarbeitern) Offenheit, Neugier und „Mut zur
Innovation“, die Bereitschaft, „über den Tellerrand hinaus zu schauen“, „Bereitschaft
zur Erweiterung des Horizonts“, Flexibilität und Teamfähigkeit sowie Empathie,
Bereitschaft zur Konfrontation und Frustrationstoleranz – sämtlich Merkmale,
die auf persönliche und soziale Kompetenzen schließen lassen:
Es gibt eben nicht nur ein Land, eine Geschichte
und ein Denken, sondern die jungen Leute müssen über den Zaun hinausschauen,
sich weiterentwickeln. Je mehr sie kennen lernen, desto leichter wird es
später, sich dann auch in der Welt angemessen zu verhalten. (U5)
Was ich mir prinzipiell wünsche, ist Offenheit. Sie
sollen insbesondere neugierig sein und neuen Dingen aufgeschlossen
gegenüberstehen, keine Angst haben. Sie sollen insbesondere in der Lage sein,
konstruktiv auf die Dinge einzugehen… . (U6)
Die Aussagen der Unternehmer lassen die Schlussfolgerung
zu, dass allein das Lernen über Kultur in Form von Kulturstandards für die
Praxis nicht geeignet ist. Die Auseinandersetzung mit Andersartigkeit,
Offenheit, Erfahrung im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen sowie
Teamfähigkeit und Empathie sind stärker gefragt als die Kenntnisse aus theoretischen
Seminaren, in denen versucht wird, das Wesen einer Kultur zu vermitteln.
2.2 Die
Einstellung der DaF-Dozenten und Lehrkräfte an Hochschulen und Universitäten zu interkultureller Kompetenz
Unter den Dozenten ist Einstimmigkeit dahingehend festzustellen,
dass alle die Wichtigkeit der interkulturellen Kompetenz betonen. Dabei bleiben
die Aussagen sehr widersprüchlich: Alle Lehrer betonen zwar, dass sie
interkulturelle Kompetenz in ihrem Unterricht berücksichtigen (und folgen damit
dem Prinzip der sozialen Erwünschtheit)[2]. Während der Interviews werden jedoch erhebliche
Diskrepanzen zwischen den deklarierten und den umgesetzten Zielen deutlich:
Prinzipiell wird interkulturelle Kompetenz als Landeskunde im Sinne der
Vermittlung von Kulturstandards verstanden und umgesetzt, wie durch folgende
Aussagen dokumentiert wird:
Für mich ist
interkulturelle Kompetenz sehr wichtig, dass man den Vergleich immer irgendwie
einbezieht, interkulturelle Landeskunde. (L1)
Es ist auf jeden Fall wichtig, die vorhandenen
Unterschiede zu diskutieren. Ich finde es wichtig, dass man auch die Anbindung
an das eigene Land, an die eigene Kultur hat. (L2)
Auffallend ist die
Hervorhebung der kognitiven Vermittlung von Fakten, insbesondere im Hinblick
auf Unterschiede der betreffenden Kulturen sowie auf kontrastive Linguistik
bzw. Landeskunde im Sinne von Kulturstandards:
Wir behandeln Elemente der sogenannten Etikette im
Geschäft, wie wir das in Polen nennen, d.h.: Wie soll man sich gegenüber
Ausländern verhalten? Und wer gibt wem die Hand? Wann überreicht man
Visitenkarten?, etc. Ich vermittle den Studierenden Informationen über die
Mentalität der deutschen Unternehmer, wie die Unterschiede zwischen deutschen
und polnischen Unternehmern in Bezug auf die Denkweise sind. (L3)
Dass interkulturelle
Thematik eher am Rande behandelt wird, erklären die Probanden einerseits durch
den knappen, für diese Thematik zur Verfügung stehenden Zeitrahmen,
andererseits durch die fehlende fachliche Vorbereitung auf diese Thematik,
insbesondere in didaktischer Hinsicht:
Selbstverständlich soll interkulturelle Kompetenz
vermittelt werden. Es ist aber die Frage, ob wir als Lehrer darauf vorbereitet
sind, ob wir das können, ob wir Materialien dazu haben. (L4)
Resümierend ist festzustellen, dass interkulturelle
Kompetenz von den DaF-Dozenten zwar als Ziel deklariert wird, der
DaF-Unterricht jedoch praktisch die Vermittlung von Landeskunde - insbesondere
Kulturstandards sowie kontrastive Linguistik - fokussiert; soziale und
persönliche Kompetenzen werden dabei kaum involviert.
2.3 Die
Einstellung der polnischen Studierenden zu interkultureller Kompetenz
Die Vermittlung kultureller Aspekte im DaF-Unterricht
wird von allen Studierenden als Schlüssel zum Verständnis einer Fremdsprache
angesehen:
Ich denke, der
Sprachlehrer soll immer kulturelle Aspekte thematisieren. Sprachkenntnisse
bringen wenig, wenn man in ein Land kommt und auf Schritt und Tritt Fehler
macht, die nicht auf die Sprache, sondern auf Sitten, Traditionen oder
Regionalität zurückzuführen sind. (S1)
Dementsprechend werden kulturelle Informationen über
Deutschland, über Lebensstile und Mentalität erwartet:
Der DaF-Lehrer sollte uns Kultur vermitteln, weil
allein Grammatik an sich (…) Nehmen wir an, wir haben keinen Zugang zur
Außenwelt: Was kann ich dann mit der Sprache machen? Nichts. (S2)
Die pragmatischen Ziele der Lernenden weisen Parallelen
zu den Einstellungen der Unternehmer auf, die von potenziellen Arbeitnehmern im
Hinblick auf Sprache primär effektive Kommunikation erwarten. Kritik am
DaF-Unterricht wird im Hinblick auf die didaktischen Methoden geäußert, da in
deren Rahmen eher rezeptive Fähigkeiten in den Vordergrund gestellt werden:
Kulturelle Aspekte sind wichtige Elemente einer
Fremdsprache. Bei uns werden diese Aspekte vernachlässigt. Unsere Lehrer legen
vorwiegend Wert auf Grammatik, aber für mich ist es viel wichtiger, etwas über
die Kultur zu erfahren, z.B. sich einen Film oder ein Theaterstück anzuschauen
oder interaktiv zu agieren. (S3)
Die Probanden assoziieren interkulturelle Kompetenz mit anderen Kulturen, anderer Mentalität, allgemein mit Kommunikation in einer
Fremdsprache sowie dem Kennenlernen der Mentalität der anderen Kultur; dabei
verweisen sie auf Unterschiede, die es zu lernen gilt. Somit rücken hier – ähnlich
wie bei den DaF-Dozenten – kognitive Komponenten der Kultur in den Vordergrund:
Ich verstehe darunter z.B. die Lehre über Kultur in
einer Fremdsprache. (S4)
Lernen über die ausländische Gesellschaft, über
Praktiken Praktikanten etc. (S5)
Lernen von Sitten und Mentalität fremder Kulturen.
(S6)
Lernen von Anpassung an andere Kulturen,
Gesellschaften, Sitten, Unterschiede wahrnehmen und lernen – allgemein die
Fähigkeit, sich anzupassen. (S7)
Die kulturelle Sensibilisierung wird insbesondere dann
offensichtlich, wenn die Studierenden über Erfahrungen aus ihrem
Studentenaustausch berichten:
Ich kenne den Begriff [Interkulturelles Lernen],
weil ich am Sokrates-Austausch teilgenommen habe, und hatte Kontakt mit
unterschiedlichen Kulturen. Der Austausch bringt sicherlich viele Kenntnisse
über interkulturelles Wissen, z.B. wie sie [die Angehörigen einer fremden
Kultur] sich benehmen, wie sie lernen und auch woher die Unterschiede kommen
bzw. wo wir Gemeinsamkeiten haben. (S8)
Obwohl einige Studierende (insbesondere diejenigen, die
an einem Studentenaustausch teilgenommen haben) die kulturelle Sensibilisierung
thematisieren, wird prinzipiell die Vermittlung von Kulturstandards sowie das
Lernen über die Mentalität als Mittel zum gegenseitigen Verstehen in interkulturellen
Situationen betrachtet. Die Aussagen lassen darauf schließen, dass soziale und
persönliche Kompetenzen im DaF-Unterricht nur ansatzweise vermittelt werden.
In diesem Kontext ist der Verweis auf Kommunikation im
Englischen durch Vertreter unterschiedlicher Kulturen in der folgenden Aussage
aufschlussreich, da hier die Bedeutung der eigenen kulturellen Sozialisation
sowie deren Auswirkung auf die Kommunikation und daraus resultierende
Missverständnisse problematisiert werden und gleichzeitig die Sensibilisierung
für die andere Kultur offenbart wird:
Heutzutage wird i.d.R.
in fast jedem Unternehmen Englisch verlangt mit der Begründung, dass Englisch
die Kommunikation erleichtert. Hinzu kommt, dass kulturelle Unterschiede
dadurch nivelliert werden, und so entwickelt sich eine globale Kultur. Aber:
Häufig sprechen wir Englisch aber denken Deutsch, Polnisch oder Russisch, und
dann stellt man fest, dass man etwas anderes sagt, als man denkt. So entstehen
auch Missverständnisse, Schwierigkeiten in der Kommunikation, die man nicht
genau begründen kann, denn formal scheint alles korrekt zu sein; aber die
feinen mentalen Hintergründe werden nicht wirklich erfasst. Somit bin ich der
Meinung, dass man die Kultur der jeweiligen Sprache stärker im Unterricht
verankern soll. (S9)
2.4
Interkulturelle Kompetenz: Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis
Der Erwartungshaltung der Unternehmer wird von Seiten der Lehre an den
Technischen und Ökonomischen Hochschulen nicht entsprochen: Während die Unternehmer
großen Wert auf mündliche Kommunikation sowie auf soziale und persönliche
Kompetenzen legen, beschränkt sich der DaF-Unterricht primär auf Lexik,
Grammatik und Kulturstandards, sodass der Fokus auf kognitives Wissen gelegt
wird. Demnach wird die Erkenntnis, dass
interkulturelle Kompetenz im Sinne sozialer Kompetenz
(Empathiefähigkeit, Bereitschaft zum Perspektivenwechsel, Ambiguitätstoleranz)
dem Fremdsprachenunterricht nicht von außen verordnet werden kann, sondern ihm
inhärent ist und zu den Aufgaben des DaF-Unterrichts gehört - an polnischen
Hochschulen zwar verbal deklariert, jedoch in der Praxis nicht umgesetzt.
Die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis ist auf die Ausbildung der Lehrer
zurückzuführen, die den aktuellen Anforderungen der Arbeitswelt sowie dem
Qualifikationsprofil des Arbeitsmarktes nicht gerecht wird: Interkulturelle
Bildung ist im Rahmen der Lehrerausbildung kein fester Ausbildungsbestandteil;
im Bereich der Fremdsprachen werden insbesondere Vergleichende
Literaturwissenschaft sowie Linguistik und Landeskunde fokussiert bzw. im Rahmen von
bilingualen Projekten und Kooperationen praktiziert, so dass im Unterricht
primär kognitives Wissen vermittelt wird.
3
Konzeptionelle Gedanken zu
Handlungsstrategien im interkulturellen Lernprozess
Verstöße gegen Kommunikations-Konventionen (latente
Botschaften der manifesten Aussagen, Konnotationen) sind in interkulturellen
Begegnungen allemal gravierender als sprachliche Fehler. Kommunikation in einer
Fremdsprache erfordert neben der Verwendung korrekter Begriffe mit adäquater
Bedeutung auch Formulierungen, die der jeweiligen Situation angemessen sind.
Insofern dürfen sozio-kulturelle Aspekte in einer Kommunikation nicht
ausgeblendet werden: Missverständnisse entstehen selten aufgrund inkorrekter
Sprachverwendung, häufiger dagegen aufgrund von Verständnisproblemen auf der
Beziehungsebene. Schließlich ist dabei interkulturelle Kompetenz gefragt, die
sich nicht auf das Wissen über die Sprache sowie das Wissen über die
Kultur – häufig als unreflektiert vorhandenes oder angeeignetes deklaratives
Wissen – beschränkt. Vielmehr muss das Wissen durch die handelnden Personen
erst erkennbar werden (prozedurales Wissen). Die Klassifizierung von Ryle
verweist auf „knowing that“ und „knowing how“ als praktisches Wissen
(Ryle 1969: 26ff.). Dabei betont Ryle den folgenden Zusammenhang: Deklaratives
Wissen kann durch Übungen in prozedurales Wissen umgewandelt werden. Somit sind
für die fremdsprachliche Kommunikation sprachliche Kompetenz und kommunikative
Fertigkeiten und Strategien erforderlich sowie allgemeines und spezifisches
kulturelles Wissen, das in einer konkreten Handlungssituation adäquat umgesetzt
wird.
Demzufolge sollte sich die Lehrerausbildung verstärkt an
der kommunikativen und interkulturellen Didaktik als notwendige Bestandteile
des Lehrer-Kompetenzprofils
orientieren. Für einen effektiven und praxisorientierten Unterricht sind
didaktische Maßnahmen notwendig, die vermehrt interaktive Lehrmethoden einsetzen
und fördern, um vielfältige Unterrichtsformen zu ermöglichen. Bei der Gestaltung
des Unterrichts sind didaktische Prinzipien wie Anschaulichkeit, Selbstständigkeit,
Exemplarität sowie Handlungsorientierung zu beherzigen. Hierzu ist das Methodenrepertoire
prinzipiell zu erweitern durch Rollenspiele, die zur Entwicklung von
Kreativität und sozialer sowie persönlicher Kompetenz beitragen, durch
Fallbeispiele, die die Kreativität und Fähigkeit zur Teamarbeit stärken sowie
durch produktive Medienarbeit und szenische Spiele (z.B. in Form von
Theaterstücken), in denen kritische Ereignisse nach der
Critical-Incident-Methode[3] bzw. Auseinandersetzung mit Stereotypen simuliert
werden: Auf diese Weise können eigene Verhaltensweisen analysiert und eigene
Handlungsstrategien verbessert werden. Bei den geforderten Lernmethoden und der
Verwendung multimedialer Lehrmaterialien kommt dem Lehrer die Rolle zu, den
Lernweg zu organisieren und den Lernenden als Berater oder Moderator zur
Verfügung zu stehen. Lehrer sind dann als kulturelle Mediatoren und „Architekten“
von Lernprozessen zu begreifen.
3.1 Theaterspiel und Produktive Medienarbeit als Beitrag zum Erwerb der Handlungskompetenz in
interkulturellen Situationen
Interkulturelle Überschneidungssituationen kommen in
Anbetracht der gegenwärtigen Globalisierung beinahe überall in Schulen,
Hochschulen, Institutionen und Unternehmen bzw. bei internationalen Projekten
und Kooperationen vor. Die Gegenüberstellung von verschiedenen Interessen,
Einstellungen, Ansichten, Verhaltensweisen, die auf unterschiedliche
Kulturstandards zurückzuführen sind, führt leicht zu Irritationen oder
Missverständnissen. Die Interaktion wird oft von Verunsicherung und Desorientierung
begleitet, da die jeweiligen kulturellen Orientierungssysteme häufig auf
Unverständnis und Unsicherheit stoßen. Die Folgen können vielfältige
Spannungen, kritische Situationen sowie Konflikte sein. Dabei ist darauf
hinzuweisen, dass den sprachlichen Missverständnissen ein fördernder
Stellenwert für den interkulturellen Lernprozess einzuräumen ist, weil sie zur
Reflexion beitragen und somit den Lernprozess initiieren können. Hierzu bietet
sowohl Theaterarbeit als auch Medienarbeit zahlreiche Möglichkeiten, die
kritische Situation als Grundlage zu nehmen, um die Initiierung des
interkulturellen Lernprozesses zu fördern und auf diese Weise zur Entwicklung
von Handlungsstrategien sowie zur Perspektivenübernahme beizutragen.
Nachfolgend werden die Ansätze von Theaterspiel und Produktiver Medienarbeit
kurz skizziert.
3.1.1 Theaterspiel
Das Theaterspiel vermittelt soziale und
kommunikative Schlüsselqualifikationen, insbesondere Fähigkeitsschulung in
Empathie, Identitätsfindung, Toleranz und Rollendistanz sowie Rollenerprobung
(Bidlo 2006: 35). Die Übernahme der Rolle impliziert im Theaterspiel immer zwei
antagonistische Betrachtungsweisen: Gemeinschaftsarbeit und Eigenarbeit.
D. h. Veränderungen werden sichtbar nach außen und unsichtbar nach innen
vollzogen (Bidlo 2006: 23). Außerdem ermöglicht die Theaterarbeit den
Spielenden das Ausprobieren unterschiedlicher Rollen, womit sowohl die Auseinandersetzung
mit sich selbst als auch mit der Rolle einhergeht, sodass Distanz zur
eigenen Perspektive gewonnen wird und damit ein Perspektivenwechsel erfolgt.
Nach Hentschel gilt: Nicht Wissen (über Differenzerfahrungen), „…sondern
Erleben ist das Medium von Wirkung. Schlüssel der Wirkungen des Mediums Theater
ist sein Spielcharakter“ (Hentschel 2009: 110) Der Spielcharakter räumt dem
Individuum und seiner Rolle bzw. Figur einen breiten Handlungsraum ein und
fördert damit die Entwicklung von Handlungsstrategien:
Theater bietet (…) kein Gesamtbild,
sondern arbeitet mit Lücken, die durch die Phantasie des Zuschauers gefüllt
werden müssen. Hier ist ein immenser Platz für den Einzelnen, seine
Erfahrungen, Wahrnehmungen, Wünsche, Ängste ins Spiel zu bringen. Hier können
ungewohnte, verrückte Zusammenhänge gestiftet, Zeichensysteme entziffert,
Weltentwürfe imaginativ erprobt und hier kann (…) auch Unbekanntes entdeckt
werden (…) (Hentschel 2009: 116).
3.1.2
Produktive Medienarbeit
Das
Projekt VideoCulture (Niesyto 2003)[4] kann prototypisch für aktive
Medienarbeit in der Kulturverständigung angesehen werden. Medienarbeit verfolgt
die Lernprinzipien Handelndes Lernen und Exemplarisches Lernen
sowie Gruppenarbeit. Das Prinzip Handelndes Lernen geht auf Dewey
(Learning by doing) zurück und impliziert die aktive Auseinandersetzung
der Lernenden mit sozialer Realität und eigenverantwortliches Lösen von
Problemen (Schell 2005: 9-16).
Dem Prinzip der Handlungsorientierung
schließt sich die Methode Visual Didact nach Weng[5] an, die selbstgesteuerten
Wissenserwerb, Wissenstransfer und eigenständige Produktion fokussiert (Weng
2010: 21f). Die Projektgruppe bearbeitet selbst gewählte Themen und
präsentiert die Ergebnisse in Form von Kurzfilmen, wobei zum einen eine
intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten erfolgt und zum anderen
Prinzipien des informellen Lernens (kollaterales
Lernen) sowie des Lernens durch
Lehren zum Tragen kommen (Weng 2011). Diese kreative Art der Bearbeitung
eines Themas schließt die oben genannten Prinzipien des selbstständigen
Handelns und exemplarischen Lernens sowie die anschließende Analyse der
erworbenen Kompetenzen ein.
3.2 Umsetzung der interaktiven Methoden Theaterspiel
und Videoarbeit in der Lehrerausbildung
Erfahrungen mit den interaktiven
Methoden des Theaterspiels und der Videoarbeit wurden von der Autorin sowohl im
Rahmen ihrer Lehrtätigkeit im Fremdsprachenbereich als auch durch die von ihr
geleiteten Seminare zum Erwerb interkultureller Kompetenz im Bereich des
erziehungswissenschaftlichen Studiums für Lehramtsstudenten gewonnen.[6] Obwohl der Schwerpunkt zunächst auf dem
Theaterspielen lag, kristallisierte sich im Laufe der Zeit eine zunehmende
Bereitschaft der Studierenden zu produktiver Medienarbeit in Form von
Kurzfilmen, Reportagen sowie kurzen Szenen heraus. Kritische Ereignisse (Critical-Incident-Methode;
Konfliktsituationen), deren Grundlage unterschiedliche kulturell geprägte
Sicht- und Verhaltensweisen bilden, werden dabei anhand eines Konzepts
analysiert, präsentiert und reflektiert. Die interaktiven Methoden erlauben
eine erfahrungsorientierte und wissensorientierte Bearbeitung der einzelnen
Themen, die von den Studierenden aus einem vorgegebenen Themenbereich[7] selbst gewählt werden.
Im Folgenden wird der
drehbuchorientierte Ansatz der produktiven Medienarbeit und des Theaterspiels
als Verlauf und dazugehörige Komponenten als Prozess in Form einer Graphik
veranschaulicht (Abb. 1).
In der
ersten Phase recherchiert die Projektgruppe zu ihren Themen und versucht, ihren
Sichtweisen Ausdruck zu verleihen; dabei werden eigene Erfahrungen
ausgetauscht. Aus den Themenrecherchen und den produktiven Diskussionen wird
innerhalb der Projektgruppe in der zweiten Phase dann das gemeinsame Konzept entwickelt.
Der Seminarleiter begleitet und beobachtet den Rezeptionsprozess der Gruppe und
steht für Diskussionen zur Verfügung.
In der dritten Phase wird das Drehbuch
geschrieben und innerhalb der Gruppe diskutiert; hier sind Neugier sowie
Kreativität und Teamfähigkeit gefordert, um eine kollektive Autorenschaft zu
garantieren. Anschließend erfolgt die Arbeit
am Set (Videoarbeit oder Vorbereitung auf das Theaterspiel). In dieser
Phase analysiert die Projektgruppe die konflikthaften Episoden und erprobt die
Rollen; die fremde Perspektive wird bewusst erlebt – die Akteure identifizieren
die einzelnen Eigenschaften der Rolle und setzen sich mit diesen konstruktiv
auseinander – und die eigene Sichtweise relativiert. Die gespielte Situation
konstituiert sowohl einen inneren als auch einen äußeren Konflikt:
Die Darsteller geraten in Gedanken und mit ihrer Rolle bzw. Figur in
Widerstreit, so dass der Lernprozess des Eigen- und Fremdverstehens in Gang
gesetzt wird. Diese Arbeit impliziert Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz,
die entwickelt werden muss, sowie Empathie, die für die
Perspektivenübernahme erforderlich ist. Zusammenfassend
D
erfolgt die Arbeit auf zwei Ebenen: Arbeit an sich selbst und an dem Anderen (der Rolle / Figur). Dabei bieten die kritischen Ereignisse
(als Themen) gute Möglichkeiten, adäquate Handlungsstrategien zu entwickeln.
Bei der
Präsentation und der daran anschließenden Nachbesprechung im Seminar werden zum
einen die Erklärungsansätze der Situation und zum anderen die Rollen der
Akteure thematisiert. Die Reflexionen werden nach folgenden Leitfragen schriftlich
festgehalten:
- Was
wollte die Projektgruppe mit der Rolle zum Ausdruck bringen? (Intention,
subjektive Erfahrungen und Diskussion in der Projektgruppe)
- Welches
Ziel wurde verfolgt? (Ziel, Beweggründe)
- Warum
wurde diese Situation / dieser Konflikt gewählt? (Vorerfahrungen, Motivation)
- Welche
Gefühle haben die Akteure bei den einzelnen Szenen begleitet? (Perspektivenwechel, Konfliktsituation)
- Inwiefern haben sich die Einstellungen gegenüber der Situation / der Rolle während des Projekts verändert?
Während der Arbeit der
Projektgruppe lassen sich bei den einzelnen Konfliktsituationen bzw.
kulturellen Missverständnissen folgende Etappen festhalten:
Im Mittelpunkt der Theaterspiele sowie der produktiven
Medienarbeit steht nicht die Vermittlung kulturkontrastiver Fakten, sondern die
Vermittlung von affektiven Fähigkeiten und die Entwicklung von
Handlungsstrategien, die den adäquaten Umgang mit der Rolle (dem Anderen) unter
Berücksichtigung der jeweiligen Konfliktsituation ermöglichen. Dabei sollen
sich die Akteure der kulturellen Gebundenheit bewusst werden, die kulturellen
Einflussfaktoren im Denken, Urteilen, Empfinden und Handeln bei sich und bei
dem „Anderen“ (der Rolle) erfassen und deren Wirkung analysieren. Bei der
Übernahme der anderen Perspektive wird von den Spielenden eine kritische Distanz
zu sich selbst und ein gewisses Maß an Identifikation und Empathiefähigkeit
verlangt. Hauptziel ist es, monokulturelle und ethnozentrische Sichtweisen zu
überwinden, interkulturelle Kommunikation in der „gespielten“ Rolle als
interpretativ und diskursiv zu betrachten und dabei Frustrations- und
Ambiguitätstoleranz zu entwickeln.
4 Vorteile handlungsorientierter Methoden für
den interkulturellen Lernprozess
Selbstreflexion und Fremdverstehen sowie
Empathie und Perspektivenwechsel stehen im Fokus interkultureller Kompetenz
(Auernheimer 2007), so dass die Vermittlung durch handlungsorientierte Methoden
– u.a. Theaterspiel und Produktive Medienarbeit – zu empfehlen sind. Im Einzelnen offenbaren sich folgende Vorzüge:
· Das Theaterspiel fördert die emotionalen, intellektuellen, kreativen,
individuellen und sozialen Fähigkeiten und trägt zur Persönlichkeitsentwicklung
bei. In diesem Zusammenhang ist der Verfremdungseffekt[8] hervorzuheben, der durch wiederholten
Perspektivenwechsel zustande kommt, und demzufolge die Betrachtung des Sachverhalts
aus einer dritten Perspektive. Ein
weiteres Kriterum, das für den Einsatz von Theaterarbeit spricht, ist die sich
dadurch bietende Möglichkeit, das Lernen als sozialen Prozess und als
Lernprozess in Bezug auf sich selbst und den Anderen zu begreifen:
Wer zu spielen bereit ist, ist
offen für anderes, für Veränderung. (…) Er hält sich für das andere, das
Fremde, das Nonkonforme bereit, gerüstet einen Schritt über sich selbst hinaus
zum anderen hin zu tun. (Rellstab 2000: 188)
· Videoarbeit kann als handlungsorientierte Methode betrachtet werden, die
an die Erfahrungsorientierung der Projektgruppe anbindet und sie durch die
kreative Form der Arbeit motiviert. Darüber hinaus wird der Sachverhalt
lebendig und anschaulich durch Bilder, Musik und Töne dargestellt und spricht
damit die emotionale Ebene an, so dass Bildung nach Pestalozzi mit „Kopf, Herz
und Hand“ erfolgen kann. Hinzu kommt, dass die Präsentation von fertigen
Medienprodukten Anerkennung sowie positives Feedback ermöglicht (Holzwarth
2007: 101-116).
Die Akteure erhalten dank der genannten
Methoden die Möglichkeit, unterschiedliche Verhaltensoptionen in Interaktionen
auszuprobieren und anschließend ihre doppelte Perspektive (das „Ich“ und die
„Rolle“) zu reflektieren. Da unterschiedliche Werte und Deutungsmuster in
Interaktion treten, werden Differenzerfahrungen sowie Fremdheitsgefühle
ausgelöst. Durch die Einnahme einer Rolle werden eigene Stärken und Schwächen erlebt und fremde Handlungsstrategien erprobt, so dass eine kreative
Auseinandersetzung mit sich selbst erfolgt und auch die kommunikative Ebene
einbezogen wird. Demzufolge impliziert der interaktive, selbstgesteuerte
Lernprozess sowohl das kognitive Wissen als auch affektive und
handlungsorientierte Komponenten.
Beim Fremdverstehen steht im Vordergrund, die
Andersartigkeit des Fremden zu respektieren, aber diese nicht im
Verstehensprozess aufzuheben. Dabei soll die Kluft zwischen dem Eigenen und dem
Fremden im hermeneutischen Sinne anerkannt werden, und im nächsten Schritt soll
eine dialogische Annäherung erfolgen, so dass die Opposition zwischen dem
Eigenen und dem Fremden nicht zu einem Schematismus statischer Zuweisung wird,
sondern in einem dialektischen Prozess zur Veränderung (dialogischem Austausch)
und zum Verstehen beiträgt. Bei dem Prozess des Verstehens spielen die eigene
Perspektive des Ich und des Anderen und ihre Umkehrbarkeit eine entscheidende
Rolle. So wird versucht, Distanz zur eigenen Perspektive zu gewinnen, sich
selbst kritisch zu hinterfragen, sich mit den Augen des Anderen zu sehen - und
somit die Doppelperspektive zu erkennen und einzusetzen. In diesem Kontext ist
auf den Verfremdungseffekt hinzuweisen, der die dritte Perspektive der
Betrachtung eröffnet. So ergibt sich als Lernziel des Theaterspiels und der
Videoarbeit die Einübung einer perspektivischen Betrachtung, die darin besteht,
die Perspektive des jeweils Anderen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern
sie auch versuchsweise und zeitweise zu übernehmen. Als weiteres Ziel kann
soziales Lernen betrachtet werden, d.h. die Entwicklung der Fähigkeit, sich in
die Position eines Anderen hineinzuversetzen, seine Gedanken und Gefühle nachzuvollziehen
und seine Handlungsweise zu verstehen. Dabei ist die implizierte Empathie die
Bedingung gelingender Interaktion und die Grundlage des Fremdverstehens.
In Bezug auf die interkulturelle Kompetenz und die
dazugehörigen affektiven und verhaltensbezogenen Komponenten sowie die
Prozessanalyse der Projektgruppen lassen sich die handlungsorientierten
Methoden und ihre Wirkung nach Bidlo (2006: 22 f) wie folgt in Form einer Grafik festhalten:
Resümierend sind die interaktiven Methoden insofern zu
empfehlen, als sie erlauben, über die ethnozentrische Sichtweise hinaus zu
blicken und auf der Metaebene zu interagieren. Durch szenische Spiele
(Theaterspiel, Videoarbeit, Kurzfilm) wird versucht, Distanz zur eigenen
Perspektive zu gewinnen, die eigenen Einstellungen kritisch zu hinterfragen,
sich mit den Augen des Anderen zu sehen und somit die Doppelperspektive zu
erkennen und einzusetzen. Durch die Einübung einer perspektivischen Betrachtung
wird das Ziel verfolgt, die Perspektive der Protagonisten nicht nur zur
Kenntnis zu nehmen, sondern sie auch zeitweise zu übernehmen und die Konfliktsituation
in eigener Regie zu erleben, zu präsentieren und aus der nötigen Distanz zu
betrachten. Darüber hinaus werden Kooperationsfähigkeit sowie Konfliktfähigkeit
gefördert, da die Regeln der gemeinsamen Arbeit auszuhandeln sind und
Handlungsstrategien für eine gemeinsame Regie entwickelt werden müssen. Somit
eignen sich diese erfahrungsorientierten, interaktiven Methoden für den
interkulturellen Lernprozess, da sie zur Reflexion der eigenen Sichtweise, zur
Selbstkritik, zum Perspektivenwechsel, aber auch zur Selbstveränderung
beitragen und damit einen Raum zum Ausprobieren schaffen und schließlich zur Entwicklung
interkultureller Handlungskompetenz beitragen.
Bibliographie
Auernheimer,
Georg (2007). Einführung in die
interkulturelle Pädagogik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Bidlo, Tanja (2006). Theaterpädagogik: Einführung. Essen:
Oldib.
Brecht, Bertolt
(1993). Kurze Beschreibung einer
neuen Technik der Schauspielkunst, die einen Verfremdungseffekt hervorbringt.
In: Hecht, Werner / Knopf, Jan / Mittenzwei, Werner (Hrsg.) (1993). Werke.
Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 22. Berlin /
Frankfurt: Suhrkamp, 641-659.
Erpenbeck, John
/ Sauer, Johannes (2000). Das Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Lernkultur
Kompetenzentwicklung“. In: Arbeitsgemeinschaft
Qualifikations-Entwicklungs-Management (Hrsg.) (2000). Kompetenzentwicklung 2000 – Lernen im Wandel – Wandel durch Lernen.
Münster: Waxmann,
289-335.
Flader, Dieter (2006). Poles are
telling Lies! Poles do not follow the rules. In: Aalto, Nancy / Reuter, Ewald
(Hrsg.) (2006). Aspects of Intercultural
Dialogue. Köln: SAXA, 145-157.
Flader, Dieter
(2008). Polen. In: Flader, Dieter / Comati, Sigrund (Hrsg.) (2008). Kulturschock. Interkulturelle
Handlungskonflikte westlicher Unternehmen in Mittelost- und Südosteuropa.
Wiesbaden: VS Verlag, 13-122.
Hentschel,
Ingrid (2009). Ereignis und Erfahrung. Theaterpädagogik zwischen Vermittlung
und künstlerischer Arbeit. In: Schneider, Wolfgang (Hrsg.) (2009). Theater und Schule: Ein Handbuch zur
kulturellen Bildung. Bielefeld: transcript, 105-127.
Hofstede, Geert
(1993). Interkulturelle Zusammenarbeit :
Kulturen – Organisationen – Manage-ment. Wiesbaden : Gabler.
Hofstede, Geert (2001). Culture’s consequences: Comparing values,
behaviors, institutions, and organizations across nations. California:
Sage Publications.
Holzwarth,
Peter (2007). Rezeptive und produktive Formen interkultureller Medienpädagogik.
In: Niesyto, Horst / Holzwarth, Peter / Maurer, Björn (Hrsg.) (2007). Interkulturelle Kommunika-tion mit Foto und
Video. München: Kopaed, 101-116.
Lauritzen,
Peter (2005). Edukacja przez całe życie. [Lebenslanges Lernen] In: Kaczanowska,
Jagna (Hrsg.) (2005). Doświadczać
uczenia. Warszawa: Fundacja Rozwoju Systemu Edukacji, 9-12.
Marchwacka,
Maria A. (2010). Qualifikationsanforderungen
auf dem Arbeitsmarkt – Empirische Befunde zur DaF-Lehrerausbildung in Polen.
Freiburg: Centaurus.
Mayring,
Philipp (2003). Qualitative
Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim / Basel: Beltz.
Niesyto, Horst
(2001). VideoCulture – Gegenstand, Methoden, Ergebnisse. In: Niesyto, Horst
(Hrsg.) (2001). Selbstausdruck mit
Medien. Eigenproduktionen mit Medien als Gegenstand der Kindheits- und
Jugendforschung. München: Kopaed, 157- 172.
Rellstab, Felix
(2000). Handbuch Theaterspielen. Band 4:
Theaterpädagogik. Wädenswill: Stutz Druck, 186-188.
Ryle, Gilbert
(1969). Der Begriff des Geistes.
Stuttgart: Reclam.
Schell, Fred
(2005). Aktive Medienarbeit. In: Hüther, Jürgen / Schorb, Bernd (Hrsg.) (2005).
Grundbegriffe Medienpädagogik.
München: Kopaed, 9-16.
Schumann,
Adelheid (2008). Interkulturelle Fremdheitserfahrungen ausländischer
Studierender an deutschen Universitäten. In: Knapp, Annelie / Schumann,
Adelheid (Hrsg.) (2008). Mehrsprachigkeit
und Multikulturalität im Studium. Frankfurt: Peter Lang, 29-50.
Schumann,
Adelheid (2011). Internationalisierung und Erforschung interkultureller
Kommunikation am Beispiel der Universität Siegen. In: Bosse, Elke , Kreß,
Beatrix / Schlickau, Stephan (Hrsg.) (2011). Methodische Vielfalt in der Erforschung interkultureller Kommunikation
an deutschen Hochschulen. Frankfurt: Peter Lang, 235-240.
Steinweg,
Reiner (1995). Lehrstück und episches
Theater: Brechts Theorie und die theaterpädagogische Praxis. Frankfurt /
Main: Brandes & Apsel.
Thomas,
Alexander, Kinast, Eva-Ulrike / Schroll-Machl, Sylvia (2000). Entwicklung
interkultureller Handlungskompetenz von international tätigen Fach- und
Führungskräften durch interkulturelle Trainings. In: Götz, Klaus (Hrsg.)
(2000). Interkulturelles Lernen /
Interkulturelles Training. München: Rainer Hampp, 97-122.
Weng, Wolfgang
(2010). Lernen am Set. In: Fachzeitschrift
pro Jugend 1, 21-24.
Weng, Wolfgang
(2011). Filmprojekte im Unterricht.
Unveröffentlichtes Manuskript.
[1] Insgesamt wurden 36 Probanden interviewt, die folgendermaßen nach
Statusgruppen unterteilt wurden: 18 Studierende (S), 9 Unternehmer (U) und 9
DaF-Lehrer/-innen (L). Darüber hinaus
wurden zur Unterstützung der Studie 116
Fragebögen sowie Gruppengespräche und Analysen amtlicher Verlautbarungen
(Curricula/Richtlinien des Ministeriums für Hochschulen sowie Curricula der
Hochschulen) herangezogen. Die Auswertung der Interviews erfolgte nach den Kriterien der strukturierten
Inhaltsanalyse (Mayring 2003: 58). Die
detaillierte Auswertung ist in Marchwacka (2010) publiziert.
[2] Interkulturelle Kompetenz wird nach
den Vorgaben des polnischen Ministeriums für Bildung und Hochschulbildung in
den Bildungsprogrammen verankert, und somit wird die Umsetzung dieser Vorgaben
in den Schulen und Hochschulen erwartet.
[3] Die
Critical-Incidents-Methode geht auf Flanagan (1954) zurück und wurde in
den 1980er Jahren in den USA im Rahmen von interkulturellen Trainings
angewendet. In Deutschland wurde die Methode von Thomas / Kinast /
Schroll-Machl mit dem Ziel der Vorbereitung auf einen Auslandsaufenthalt
weiterentwickelt (vgl. Thomas / Kinast /
Schroll-Machl 2000). Auch in der universitären Kommunikation wird die Critical-Incidents-Methode
angewendet und evaluiert (vgl. das Projekt MuMis unter der Leitung von Adelheid Schumann, Schumann
2008, 2011).
[4] Niesyto setzte bei dem Forschungsprojekt VideoCulture – Video und interkulturelle Kommunikation, das von 1997 bis 2000 an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg durchgeführt wurde, Videoarbeit ein, um den interkulturellen Lernprozess bei den Lernenden zu initiieren (Niesyto 2001: 157-172).
[5] Weng arbeitet seit 2005 am Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre der Technischen Universität Berlin mit der Methode Visual Didact. Er verwendet die Methode sowohl im Bereich der Präventionsarbeit als auch in der Arbeitslehre. Eine ausführliche Beschreibung der Methode findet sich unter: http://www.visual-didact.de/. .
[6] Theaterspiel und Videoarbeit werden von der Autorin seit dem Sommersemester 2010 im Rahmen der jedes Semester stattfindenden Seminare mit dem Titel Interkulturelle Kompetenz als Teil pädagogischer Professionalität an der Universität Paderborn angewandt. In Seminaren zur Ausbildung von DaF-Lehrern in Polen (an Hochschulen in Köslin und Danzig) sowie an privaten Sprachschulen wurde primär das Theaterspiel umgesetzt.
[7] Beispiele vorgegebener Themenbereiche sind etwa: „Tabu“-Themen, Mehrsprachigkeit, Zweisprachigkeit, Stereotypen und Pauschalisierung, Fremdbilder / Fremdverstehen, Eltern-Lehrer-Interaktionen, Schüler-Schüler-Interaktionen, Ghettoisierung, Patchwork-Identität sowie Wertevermittlung.
[4] Niesyto setzte bei dem Forschungsprojekt VideoCulture – Video und interkulturelle Kommunikation, das von 1997 bis 2000 an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg durchgeführt wurde, Videoarbeit ein, um den interkulturellen Lernprozess bei den Lernenden zu initiieren (Niesyto 2001: 157-172).
[5] Weng arbeitet seit 2005 am Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre der Technischen Universität Berlin mit der Methode Visual Didact. Er verwendet die Methode sowohl im Bereich der Präventionsarbeit als auch in der Arbeitslehre. Eine ausführliche Beschreibung der Methode findet sich unter: http://www.visual-didact.de/. .
[6] Theaterspiel und Videoarbeit werden von der Autorin seit dem Sommersemester 2010 im Rahmen der jedes Semester stattfindenden Seminare mit dem Titel Interkulturelle Kompetenz als Teil pädagogischer Professionalität an der Universität Paderborn angewandt. In Seminaren zur Ausbildung von DaF-Lehrern in Polen (an Hochschulen in Köslin und Danzig) sowie an privaten Sprachschulen wurde primär das Theaterspiel umgesetzt.
[7] Beispiele vorgegebener Themenbereiche sind etwa: „Tabu“-Themen, Mehrsprachigkeit, Zweisprachigkeit, Stereotypen und Pauschalisierung, Fremdbilder / Fremdverstehen, Eltern-Lehrer-Interaktionen, Schüler-Schüler-Interaktionen, Ghettoisierung, Patchwork-Identität sowie Wertevermittlung.
[8] Der
Verfremdungseffekt ist
ein literarisches Stilmittel im epischen Theater und geht auf Brechts Theaterstücke zurück (vgl. Brecht 1993). Die Verfremdungseffekte in seinen Lehrstücken bieten die Möglichkeit zu soziologischen Experimenten, da
durch sie die Tiefenstruktur der
sozialen Wirklichkeit wahrgenommen werden kann. Vgl. in diesem Zusammenhang
auch Steinweg 1995, der die Lehrstücke von Brecht und deren Verfremdungseffekte
in der außerschulischen Jugendarbeit erprobt hat.