Digitale Medien, E-Learning –
und was „sagt“ unser Gehirn dazu?
Michael
Langner (Freiburg (CH) / Luxemburg)
Abstract
(English)
The present article aims to ask whether new developments
of digital media are compatible with the latest findings in pedagogy and the
psychology of learning. To begin with, some basics of general learning and
especially language learning will be dealt with, followed by some remarks about
the overwhelming presence of digital media. The advantages and disadvantages of
e-learning as well as some results of research on nerds will then be reflected
upon. Finally, some perspectives for the future will
be shown.
Key words: e-learning, language learning, digital
media, psychology, pedagogy
Abstract
(Deutsch)
Im folgenden Beitrag soll der Frage nachgegangen werden,
inwieweit neueste Entwicklungen im Bereich des medial gestützten Lernens mit
Erkenntnissen aus Lernpsychologie und Pädagogik kompatibel sind. Dazu wird
zunächst auf einige grundlegende Aussagen zum Lernen und Sprachenlernen
eingegangen, danach kurz über die Omnipräsenz der digitalen Medien gesprochen,
dann über die Möglichkeiten und Grenzen des E-Learnings und über einige
Untersuchungen zur sogenannten Nintendo-Generation reflektiert werden,
um dann im Abschlussteil einige Perspektiven aufzuzeigen.
Stichwörter: E-Learning, Sprachenlernen, digitale
Medien, Lernpsychologie, Padagogik
1 Lernen:
Ergebnisse aus Lernpsychologie und Gehirnforschung
In der fremdsprachendidaktischen Diskussion findet man bis heute immer
noch die Formulierung: „Digitale Medien sind die Einlösung des konstruktivistischen
Ansatzes!“ Es ist zwar nicht mehr möglich den Urheber dieses Satzes
herauszufinden, aber man kann wohl konstatieren, dass dies ein weiteres
Beispiel für die Euphorie ist, die seit Ende der 80er-Jahre des vergangenen
Jahrhunderts in Bezug auf die damals „neuen“ Medien genannten technischen
Innovationen immer noch nachklingt (z.B. Rüschoff / Wolff 1999).
Aber fragen wir uns doch erst einmal, was Lernen eigentlich ist.
Dazu soll einerseits auf Ergebnisse der neueren Gehirnforschung, andererseits
auf Aussagen des Konstruktivismus verwiesen werden.
Lernen kann wie folgt definiert werden[1]:Obwohl sogar Spezialisten Schwierigkeiten mit einer genauen Definition des Begriffs Lernen haben, würden die meisten sicherlich zustimmen, dass es sich dabei um einen Veränderungsprozess handelt, der als Ergebnis individueller Erfahrung auftritt. (Mazur 2004: 12)
Lernen (ist) zunächst ein beobachtbares Verhalten bzw. eine mehr oder weniger dauerhafte Veränderung von Verhaltensbereitschaft und Verhaltenspotenzialen (…). In kognitiver Sicht geht es dabei um den Aufbau innerer Strukturen und mentaler Repräsentationen (…). (Gasser 2010: 20)
In den verschiedenen Zitaten wird deutlich, wie komplex Lernen
eigentlich ist, und wie wenig das schulische Lernen häufig dieser Definition
entspricht. Lernen ist also weder das flüchtige Ansehen von Wortschatzlisten
noch das Zusammenstellen irgendwelcher webbasierter Informationen in einem Text
und schon gar nicht das stupide Abarbeiten irgendwelcher computerbasierten
grammatischen Drillübungen.
Aus den Ergebnissen der neueren Gehirnforschung können hier fünf
zentrale Aussagen festgehalten werden:
Lernen
- neuropsychologisch betrachtet - bedeutet ganz generell:
- die Neubildung und die Vergrößerung von Synapsen,
- die Festigung bestehender Bahnen,
- das Wiederholen von Gelerntem und der Einsatz der verschiedenen Gedächtnisarten,
- die Verknüpfung von Neuem mit schon Gewusstem und
- die Notwendigkeiten von Motivation und Emotionen.
Wir wissen heute zwar, dass die Anzahl der Synapsen um das dritte Lebensjahr
am größten ist und anschließend beständig sinkt; wir wissen aber auch, dass
dieser Abbau ganz stark durch unser Lernverhalten beeinflusst werden kann. Und
relativ neu ist die Erkenntnis, dass bei intensiven Lernprozessen tatsächlich
neue Synapsen gebildet werden und sich die Größe der bestehenden Synapsen
deutlich verändert. Somit steigt die Oberfläche, auf der sich die chemischen
Prozesse des Lernens abspielen.
Für die bestehende „Verdrahtung“ des Gehirns, also das Netzwerk, gelten
ähnliche Prozesse. So haben wir in frühen Jahren eine sehr große Dichte des
Netzwerks, die dann im Zuge der Lernprozesse differenziert wird. Häufig
genutzte Bahnen werden verstärkt und dadurch permanent gemacht. Ein extremes
Beispiel ist die frühe Fixierung des Phonembestands der Muttersprache, die
zwischen dem Ende des ersten und dem Abschluss des zweiten Lebensjahrs
abgeschlossen wird.
Eine zentrale Rolle spielen bei den Lernprozessen auch die
verschiedenen Gedächtnisarten. Die drei zentralen Instanzen sind (Gluck et al. 2010:
174ff., Croisile 2011: 81ff.):
- das sensorische Register (früher Ultra-Kurzzeitgedächtnis genannt),
- das Arbeitsgedächtnis (oft auch als Kurzzeitgedächtnis bezeichnet) und
- das Langzeitgedächtnis, der dauerhafte Speicher.
Das sogenannte sensorische Register bezeichnet eine
Erinnerungsspur von wenigen Sekunden, die mit dem jeweiligen Sinneskanal
verknüpft ist. Die Sinneskanäle sind die einzige Verbindung „nach draußen“ für
das Gehirn.
Das Arbeitsgedächtnis spielt für Lernprozesse eine nicht zu überschätzende
Rolle, werden in ihm doch die neuen Informationen (aus dem sensorischen
Register) mit den schon vorhandenen Informationen aus dem Langzeitgedächtnis
verknüpft und dann wieder zurückgespeichert. Jede „Erinnerung“ – also ein
Einspeisen bestehender Informationen ins Arbeitsgedächtnis – bedeutet somit
gleichzeitig eine „Bearbeitung“ dieser Informationen. Das Arbeitsgedächtnis ist
inzwischen sehr gut untersucht und selbst schon physiologisch verortet
(Regionen im frontalen Kortex) und hat einen komplexen Aufbau (Baddeley[A1] 2000: 421). Es kann einerseits unterschiedliche Aufgaben bearbeiten,
sofern sie unterschiedliche Modalitäten betreffen – dies ist dann jedoch noch
kein Multitasking (vgl. auch Kap. 2). Ein Grundproblem des
Arbeitsgedächtnisses ist seine Beschränktheit: So können wir im besten Falle
bis zwischen 5 und 9 Informationen
gleichzeitig behalten, z.B., uns eine längere Telefonnummer merken. Bei
größeren Informationsmengen greifen wir daher zu Strategien und bilden
sogenannte Chunks, also Gruppierungen von Informationen, damit wir nicht
an die Grenzen des Arbeitsgedächtnisses stoßen.
In einem komplexen Prozess, in dem der Hippocampus und der nächtliche
Tiefschlaf zentrale Rollen spielen, werden dann die bearbeiteten Informationen
ins Langzeitgedächtnis übertragen (Spitzer 2002: 123f.).
In einer anschaulichen Metapher wird die Funktionsweise der
Gedächtnisarten mit einem Chefbüro und zwei vorgeschalteten Sekretariaten
verglichen, in denen jeweils der größte Teil der eintreffenden Informationen
als unwichtig gelöscht wird. Nur ein minimaler Bruchteil hat überhaupt die
Chance, ins Langzeitgedächtnis zu gelangen. Die Grundfrage für alle
Lernprozesse ist daher die Frage: Wie müssen Informationen beschaffen sein,
damit sie durch den doppelten Filter des sensorischen Registers und des
Arbeitsgedächtnisses ins „Chefbüro“ zur Ablage gelangen können? Hier spielen
die Motivation, die beteiligten Emotionen, die Wiederholungsrate und die
sogenannte Verarbeitungstiefe - neben der Beteiligung mehrerer Sinne - eine
spezifische Rolle.
Aus der Perspektive des (pädagogischen) Konstruktivismus ist
festzuhalten:
- Authentisches Material ermöglicht realitätsbezogenes Lernen;
- Reichhaltige Lernumgebungen sind die Voraussetzung für ein Lernen durch Tun unter der Beteiligung möglichst mehrerer Sinne, also Lernen durch Experiment und Erfahrung;
- Orientierung auf Projektlernen bedeutet, dass Produkte als Lernergebnisse im Vordergrund stehen, und
- kooperatives Lernen bedeutet den Einbezug des sozialen Lernens, welches in spezifischen Bereichen als besonders wirksam gilt.
2 Die
Omnipräsenz digitaler Medien – der Mythos Multitasking
Wenn wir uns heutzutage im Alltag umsehen, so sehen wir zunehmend
Menschen, die MP3-Player benutzen, ebenso Mobiltelefone (die Smartphones
von heute sind eigentlich Kleincomputer, mit denen man auch telefonieren kann),
die auf den Knien ein Notebook (Laptop, Netbook, Webbook) oder einen e-Reader
halten oder auch einen Tablet-Computer verwenden. Und auch Lernsituationen von
Schülern sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass neben einem irgendwie
gearteten Lernprozess Musik gehört wird, das Mobiltelefon zum Simsen bereit
liegt, die E-Mails regelmäßig gecheckt werden und auch noch – möglichst in
verschiedenen - sozialen Netzwerken Präsenz markiert wird. Das unausgesprochene
Statement, das diesem Verhalten unterliegt, ist: Wir beherrschen das
Multitasking – können verschiedene Dinge gleichzeitig erledigen!
Was geschieht aber in solchen Situationen mit den begrenzten
Speicherkapazitäten unseres Arbeitsgedächtnisses? Ein Ansatz zur Analyse ist
die sogenannte Cognitive Load Theory, nach der davon ausgegangen wird,
dass Lernen prinzipiell mit kognitiver Belastung einhergeht, dass es aber
unterschiedliche Formen der Belastung gibt. Die Frage hier ist also: Wie hoch ist
die extrinsische Belastung (durch die Gestaltung des Lernmaterials), und stört
sie die eigentlichen Lernprozesse? Und wie viel der kognitiven „Energie“ wird
dann noch für die notwendige intrinsische und die lernbezogene Belastung
mobilisiert? Wenn wir wissen, dass das Erreichen einer gewissen
Verarbeitungstiefe nur dann geschehen kann, wenn wir uns konzentrieren, so
können wir vermuten, dass in diesen Szenarios keine nachhaltigen Lernprozesse
ablaufen werden.
Aber auch die Zunahme von Multitasking-Situationen an den
Arbeitsplätzen ist problematisch. Alle Ergebnisse der Gehirnforschung und der
Lernpsychologie weisen darauf hin, dass unser Gehirn – egal ob weiblich oder
männlich – für Multitasking nicht geeignet ist. Auch die scheinbare
Gleichzeitigkeit verschiedener Arbeitsprozesse entpuppt sich bei näherem
Hinsehen als eine mehr oder weniger schnelle lineare Abfolge von
Einzelaufgaben. Und das Prekäre daran ist, dass wir keinem dieser Prozesse die
notwendige Aufmerksamkeit schenken. Dabei verstehen wir unter Aufmerksamkeit
Folgendes:
Man spricht von Aufmerksamkeit im Sinne von Vigilanz und meint einen quantitativ angebbaren Zustand des Organismus, der von hellwach bis (im Extremfall) komatös reicht. Im Sinne von Vigilanz ist Aufmerksamkeit eine eindimensionale Variable.Von der allgemeinen Vigilanzerhöhung (engl.: alerting) ist die selektive Aufmerksamkeit (engl.: orienting) zu unterscheiden. Diese Funktion hat man früher gerne mit einem Scheinwerfer verglichen, der im „Feld des Bewusstseins“ bestimmte Dinge heller macht. (Spitzer 2002: 141)
Oder:
Aufmerksamkeit ist die Zuweisung von (beschränkten) Bewusstseinsressourcen auf Bewusstseinsinhalte, beispielsweise auf Wahrnehmungen der Umwelt oder des eigenen Verhaltens und Handelns, sowie Gedanken und Gefühle.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Aufmerksamkeit, 25.01.2012)
- Die gleichzeitige Mehrfachbelastung macht das Gehirn langsamer. Unsere Gehirnleistung sinkt beim Versuch der gleichzeitigen guten Erfüllung zweier Aufgaben um bis zu 40 %.
- Außerdem umgehen wir unser zerebrales Belohnungssystem, wir schütten keine Belohnungshormone (z.B. Dopamin) aus und erleben keine Lust auf Neues.
- Und wir kommen mit Sicherheit nicht in den Flow – in das völlige Aufgehen in einer Tätigkeit.
Auf diesem Hintergrund nicht überraschend ist
Pöppels Einschätzung:
Multitasking geht nicht. Wir glauben zwar, mehrere Dinge parallel bearbeiten zu können. Was aber tatsächlich passiert, ist, dass wir alles nacheinander erledigen. D.h. unser Hirn richtet seine Aufmerksamkeit erst auf einen Vorgang, wechselt dann schnell zum nächsten und wieder zurück. Insofern ist Multitasking die Fähigkeit, schnell zwischen einzelnen Tätigkeiten wechseln zu können. (Pöppel 2008)
3 E-Learning:
Chancen und Grenzen
Noch vor wenigen Jahren benutzten wir den Begriff Medien im
Plural, auch wenn es sich um digitale Medien handelte: Der Computer war ein
Medium neben anderen, wie z.B. das Telefon, Musikgeräte oder auch Kameras.
Heute hat schon ein Smartphone mehr Leistungsfähigkeit als vor 20 Jahren ein
PC. Und zusätzlich übernimmt es multiple Funktionen: Ein und dasselbe Gerät ist
Kamera, Internet-Browser, Musik-Player, E-Mail-Sender und -Empfänger, und ganz
nebenbei kann man damit auch noch telefonieren. Und die Speichermöglichkeiten
von 16 oder sogar 32 GB lassen viel Spielraum (im wahrsten Sinne des Wortes).
Aber was wissen wir eigentlich über die Kombination verschiedener
Medien (also die eigentliche Multimedialität, z.B. Buch und CD-ROM), die
Kombination verschiedener Codes (Multicodalität bedeutet die gleichzeitige
Benutzung unterschiedlicher Zeichensysteme: z.B. Bild und Text) oder die
Kombination verschiedener Modalitäten (Multimodalität bedeutet die gleichzeitige
Verwendung verschiedener Sinneskanäle, also z.B. Hören und Sehen[A2] ). Was wurde z.B. aus den euphorisch begrüßten Hypertexten, als man
merkte, dass diese in einem komplett anderen Lesen mit neuen Strategien
resultierten? Leider gibt es in diesem Bereich nur vereinzelt Forschung, aber
die wenigen Ergebnisse zeigen deutlich, dass bei der Kombination von Medien die
Gefahr der sogenannten kognitiven Überlast wächst. Sie zeigen aber auch, dass
durch eine durchdachte Kombination von Audiomaterial und Bildern die
Betrachtungsdauer von Bildern verlängert wird und u.U. eine stärkere
Auseinandersetzung mit den Inhalten geschieht (Hasebrook 1995).
Im Prinzip eröffnen sich hier für das Lernen - auch für das
Sprachenlernen - ungeahnte Möglichkeiten. Wir haben heute Zugriff auf
authentische Dokumente, wie noch nie zuvor. Nicht nur Textdokumente, sondern
Audio- und zunehmend auch Videodokumente von außergewöhnlicher Qualität
befinden sich im Internet. Fast alle Rundfunkstationen – und zunehmend auch die
Fernsehsender – stellen einen Teil ihrer Sendungen zumindest eine Zeit lang ins
Internet (Podcasts, Vidcasts); viele interessante Sendungen
findet man auch auf YouTube. Diese
digitalen Medien weisen neben ihrer hohen akustischen Qualität eine sehr
leichte Zugänglichkeit auf. Für manche Sendungen im Internet gibt es druckbare
Zusatzmaterialien (Skripte). Und zunehmend finden sich auch bei den sogenannten
Kultursendern Podcasts zum Lernen[2].
Aber auch in der Projektarbeit, die innerhalb des konstruktivistischen
Lernansatzes sehr wichtig ist, können heute leicht eigene Podcasts produziert
und veröffentlicht werden. Es gibt eine Reihe didaktischer Plattformen, die es
im schulischen Kontext meist kostenlos und sehr benutzerfreundlich erlauben,
solche Produkte zugänglich zu machen. Die Motivation, solche realitätsbezogenen
Lernprojekte gut zu realisieren – für den Sprachunterricht heißt das, sie auch
sprachlich korrekt zu gestalten – ist im Allgemeinen hoch. Die Programme für
die Produktion sind kostenlos im Internet verfügbar, und inzwischen gibt es
auch sogenannte Mini-Anwendungen (applets) für Smartphones, um an fast
allen denkbaren Orten Aufnahmen machen zu können. Und das sogenannte Cloud-Computing
erlaubt das sofortige Hochladen der entsprechenden Dateien.
Damit ist indirekt ein Begriff gefallen, der in letzter Zeit recht
häufig verwendet wird: Edu-Apps oder Web 2.0-Tools für
Bildungszwecke (Strasser 2011: 139ff). Während bis vor kurzem Lernplattformen
und Web 2.0-Applikationen nebeneinander existierten, kommt es in letzter Zeit
zu einer deutlichen Integration. Solche Tools können auf sehr einfache Art und
Weise in die gängigen Lernplattformen eingebaut werden. Strasser spricht von
der Drei-Klick-Methode (Strasser, Kulhanek-Wehlend & Knecht 2012) und meint
damit, dass wir von einer Integration jeweils nur drei Mausklicks entfernt
sind.
Eines aber ist sehr deutlich geworden: In den meisten Lernszenarien
spielt das reine E-Learning keine Rolle mehr, es wurde abgelöst durch hybride
Lernformen (blended learning environments (BLE)). Hierbei werden
Präsenzphasen mit computerbasiertem individuellem Lernen verknüpft. Verknüpfung
steht hier jedoch eigentlich für Integration, denn es handelt sich nicht
einfach um einen additiven Prozess. Es bedarf es dafür einer guten Reflexion
und klarer Entscheidungen dahingehend, welche Teilbereiche für welche der
beiden Lernformen geeignet sind. Im Sprachenlernen kann allgemein die Tendenz
formuliert werden: Reine Trainingsangebote können aus dem Präsenzunterricht
ausgelagert werden, während z.B. kommunikative Übungsformen im Präsenzlernen
besser bearbeitet werden können.
Wir selbst plädieren hier sogar für Open Learning Environments (OLE),
also die Nutzung aller Ressourcen, die zur Erreichung von Lernziele sinnvoll
sind: Präsenzunterricht, Tandemlernen, computerbasiertes individuelles Training
sowie Audiomaterialien zum individuellen oder kleingruppenorientiertem
Hörtraining.
4 Die
Nintendo-Generation oder les enfants ROI
Die wenigen Studien, die bisher zu dem Bereich der digital natives
existieren, geben zum Nachdenken Anlass.
Einerseits hatten wir erwartet, dass die jüngere Generation durch ihre
Gewöhnung an den technologisch bestimmten Alltag den digitalen Medien gegenüber
weniger Berührungsängste habe. Es hieß ja auch immer, dass die Älteren, die ja
naturgemäß mit der aktuellen Technik weniger vertraut sind, die Jüngeren
gezielt einsetzen sollten, damit wir problemlos - z.B. im Unterricht - Medien
einsetzen können. Dies hat zu Zeiten des Videorekorders auch meist
funktioniert. Die Situation an Hochschulen zeigt heute jedoch häufig Anderes:
Die Bereitschaft, mit Medien für Lernprozesse arbeiten zu wollen, ist oft
denkbar gering. Die vielfältigen Möglichkeiten, die die Technologie bietet –
man denke beispielsweise an Lernforen auf Lernplattformen – werden bisweilen
sogar in expliziten Seminaren zum Thema Digitale Medien und Sprachenlernen
kaum genutzt.
Auch auf Nachfrage an verschiedenen Bildungsinstitutionen (sowohl
Universitäten als auch Schulen auf Gymnasialniveau) zeigen, dass ein eklatanter
Widerspruch besteht zwischen dem Besitz und dementsprechend der alltäglichen
Nutzung von Smartphones einerseits und ihrem Einsatz in Lernszenarien
andererseits. Sicher wird das Internet bisweilen für ein unbekanntes Wort in
einer Fremdsprache konsultiert, genutzt werden jedoch fast nur die jeweiligen
Gratisapplikationen (z.B. Leo, Babylon). Gute - aber kostenpflichtige, wenn
auch erschwingliche - Applikationen sind praktisch unbekannt. Und für die
Erlernung der jeweiligen Wörter bedarf es dann weiterer Aktivitäten (Kap. 5).
Auch wenn dies sehr kulturpessimistisch klingt, lassen sich die
wesentlichen, bisher durchgeführten Studien folgendermaßen zusammenfassen
(Sarma et al. 2009):
- Geschätzt werden von dieser Generation Angebote, die man neudeutsch als „quick and dirty“ – also schnell und einfach, ohne komplexere Funktionen – bezeichnen kann;
- Das Lernen soll möglichst ohne großen Aufwand geschehen;
- Wir leben in einer sogenannten „Spaßgesellschaft“ – also soll auch das Lernen Spaß machen. Dabei wird aber unterschlagen, dass wir als Heranwachsende und Erwachsene nicht mehr so wie Kinder lernen, und bei Kindern haben wir auch nur den oberflächlichen Eindruck des leichten, spielerischen Lernens. Tatsächlich ist auch das kindliche Lernen anstrengend (warum sonst schlafen Kinder so viel?);
- Multitasking ist Alltag, auch wenn es eigentlich nicht funktioniert;
- Die Bereitschaft, Dinge aus dem Alltag (z.B. Smartphones, E-Mail) zum Lernen einzusetzen, ist sehr gering. Diese Medien sind mehr oder weniger für die Freizeit vorgesehen und drängen sich zum Lernen nicht auf;
- Wir leben in einer Informationsgesellschaft, keineswegs in einer Wissensgesellschaft.
Sicher gilt, was bereits zu Beginn dieses Abschnitts gesagt wurde: Wir
haben - nicht zuletzt durch das Internet - heutzutage phantastische Recherche-
und Lernmöglichkeiten. Aber auch heute gilt, Wissen entsteht erst durch
verarbeitete Information! Und dieser entscheidende Schritt wird bemerkenswert
selten gemacht.
5 Perspektiven
Abschließend soll hier noch etwas differenzierter auf die Vor- und
Nachteile eingegangen werden, die die digitalen Medien für das Lernen - und
spezifisch für das Sprachenlernen - mit sich bringen. Beginnen wollen wir mit
den Nachteilen, die berücksichtigt werden müssen, damit die Vorteile
entsprechend zum Tragen kommen. Außerdem soll dadurch auch klargestellt werden,
dass der Autor dieser Zeilen nicht in die Reihe der Kulturkritiker gehört, die jegliche Veränderung sabotieren wollen.
Digitale Medien sind immer nur Ergänzungen. Bisher werden der visuelle
Kanal und der auditorische Kanal eingesetzt.
Der taktile Kanal hingegen wird nur auf äußerst unbefriedigende Art und Weise
über Tastatur und Maus eingesetzt. Dies entspricht keineswegs der Arbeitsweise,
die für Lernprozesse sonst für diesen Kanal typisch ist. Und der olfaktorische und der gustatorische Kanal – der
Vollständigkeit halber, obwohl für das Lernen allgemein nicht zentral – fehlen komplett.
Wenn man von den Grundfertigkeiten des Gemeinsamen Europäischen
Referenzrahmens für Sprachen (GER) ausgeht, kann man festhalten, dass der
Einsatz des Computers nur für gewisse Fertigkeiten sinnvoll ist.
Für das Lesen beispielsweise gilt bis heute, dass Lesen am
Bildschirm – auch bei den qualitativ besten Bildschirmen – deutlich langsamer
geht, als auf Papier – und zwar um bis zu 10 % (Nielsen 2010).
Für die Teilnahme an Gesprächen ist der Computer mit Sicherheit kein
ideales Medium. Bei dieser Fertigkeit geht es ja um gesamthaftes Kommunizieren,
was über das Medium Computer nur sehr eingeschränkt erfolgen kann.
Außerdem wissen wir, dass elektronische Wörterbücher - völlig
unabhängig von ihrer Qualität - kaum dem Wortschatzerwerb dienen. Durch die
hohe Geschwindigkeit bei der Suche nach der richtigen Übersetzung und die
Leichtigkeit des Zugangs zu diesem Medium ist es zweitrangig, wie häufig dasselbe Wort
Mal nachgeschlagen wird; gehäufte Nachschlageprozesse werden im Allgemeinen nicht
als Hindernis angesehen. Kaum ein Lernender würde dies mit einem in Papierform
publizierten Wörterbuch tun. Allein die gewisse Umständlichkeit des Gebrauchs
eines umfangreichen traditionellen Wörterbuchs bewirkt einen ersten Schritt in
Richtung Verarbeitungstiefe. Und die weiteren Schritte, wie das
„Umwälzen“ des Wortschatzes, also die mehrfache Verwendung des zu lernenden
Wortes in verschiedenen Sätzen und Situationen, die Verknüpfung mit bereits
bekannten, ähnlichen Wörtern oder entsprechenden Antonymen bewirken die für
erfolgreiches Lernen notwendige Verarbeitungstiefe. Die digitalen Medien nehmen
dem Lernenden diese Aktivität somit nicht ab.
Der Computer verleitet außerdem zu einem individualisierten, ja –
extrem formuliert bisweilen fast autistischen – Lernen. Für das im
konstruktivistischen Ansatz so zentrale soziale Lernen bietet er meist keine
Möglichkeiten. Dennoch muss festgestellt werden, dass dies nur zum Teil auf das
Medium allein zurückzuführen ist: Mögliche Formen des sozialen Lernens werden
von den Software-Produzenten gar nicht angedacht: Meist wird Autonomie mit
individuellem, isoliertem Lernen verwechselt (z.B. Small / Vorgan 2009.
Interessant ist weiterhin, dass in den neueren Publikationen zum Bereich Autonomie
und Fremdsprachenlernen eigenartigerweise weder auf den Medienaspekt noch
auf das soziale Lernen explizit eingegangen wird (z.B. Tassinari 2010 oder
Schmenk 2008). Und auch Nandorf (2004) geht in ihrem Buch mit dem einschlägigen
Titel Selbstlernen mit Sprachlernsoftware
mit keinem Wort auf die Problematik des sozialen Lernens ein. Dies ist vor dem
Hintergrund der inzwischen zweiten Renaissance von Wygotsky – Stichwort Soziokonstruktivismus
– unverständlich (Vygotsky 1978).
Doch nun zu den positiven
Perspektiven. Die digitalen Medien erlauben eine einfache
Wiederholung, ohne - wie Lehrer - ungeduldig zu werden. Sicher bedarf es
bisweilen auch eines gewissen Drucks, damit Fortschritte erzielt werden, aber
die einfache Wiederholbarkeit erlaubt es natürlich auch schwächeren Lernern,
die nötigen Durchläufe zu erzielen.
Die Möglichkeiten des Herunterladens entsprechender Dokumente (Texte,
Präsentationen, Audio- und Video-Dateien) und ihr Abspeichern unterstützen die
Trainingsmöglichkeiten. Es bleibt aber die Gefahr, dass es beim Herunterladen
bleibt und keine weiteren Schritte hin zum eigentlichen Lernen unternommen
werden.
Die Zugänglichkeit digitaler Audio- und Videodokumente ist im
Allgemeinen recht hoch, und das Ansteuern spezifischer Stellen im Dokument ist
im Vergleich zu früherem Tonband- und Videokassetten-Material sehr einfach.
Somit sind solche Dokumente auch zugänglicher im Unterricht einzusetzen.
Ebenfalls hervorzuheben ist die hohe akustische und optische Qualität vieler
authentischer Materialien - besonders im Hinblick auf die Podcasts, die die
Rundfunksender zur Verfügung stellen.
Als komplementäres Zusatzmaterial können diese Dokumente leicht in eine
reichhaltige Lernumgebung integriert werden. Entgegen der bisherigen Euphorie
sind sie selbst noch nicht unbedingt die reichhaltige Lernumgebung. Hier
spielen Lernplattformen eine hervorragende Rolle: Verschiedenste
Lernmöglichkeiten sind dort bereits realisiert und können ohne spezifische
Computerkenntnisse genutzt werden. Und bereits vermerkt, können hier auch auf
einfache Art und Weise Edu-Apps integriert werden (vgl. die Drei-Klick-Methode;
Kap. 3).
Während Plattformen eher die Nutzung digitaler Medien in einem gewissen
abgeschlossenen Raum darstellen - ihre Zugänglichkeit ist normalerweise auf
einen definierten Nutzerkreis beschränkt - gibt es selbstverständlich die
Nutzung auf dem Weg nach draußen: Produkte aus Lernprozessen können ins
Internet gestellt und somit allgemein zugänglich gemacht werden. Dadurch
erhalten beispielsweise Projektarbeiten eine besondere Form von Realitätsbezug
und Authentizität.
6 Fazit
Insgesamt können wir hier festhalten, dass wir heutzutage im Rahmen
unserer Informationsgesellschaft mit den digitalen Medien Möglichkeiten haben,
die vor 30 Jahren fast undenkbar schienen. Die technologische Entwicklung hat
uns Geräte beschert, mit denen wir fast jede Information schnell abrufen und
abspeichern können. Die Qualität - inzwischen auch schon von Videodokumenten -
ist im Allgemeinen sehr hoch.
Dennoch muss einschränkend festgestellt werden, dass auch mit diesem
technologischen Fortschritt Lehrer und Lehrerinnen nicht überflüssig werden. Im
Rahmen von hybriden Lernformen werden vielmehr die Vorteile aller existierenden
Lernformen (z.B. Präsenzlernen, computergestütztes Lernen) genutzt.
Skepsis ist hingegen angebracht, wenn man an die Kombinationen von
verschiedenen Codes, Modalitäten und Medien denkt: Nicht alles, was möglich
ist, ist didaktisch und lernpsychologisch auch sinnvoll. Es gibt sogar Hinweise
darauf, dass bestimmte Kombinationen für das Lernen hinderlich sein können
(Hasebrook 1995).
Die starke Tendenz unserer Gesellschaft zu Lern- und
Arbeitssituationen, die das Multitasking einschließen, geht mit Sicherheit in
die falsche Richtung: Unser Gehirn kann sich nicht an dieses Aufsplitten der
Aufmerksamkeit auf verschiedene Prozesse anpassen. Wir sollten uns rechtzeitig
überlegen, wohin das Lernen in Zukunft steuern soll.
Schließlich darf nicht vergessen werden: Alle heute existierenden,
geradezu fantastischen technischen Möglichkeiten dürfen keineswegs darüber
hinwegtäuschen, dass erst intensives Lernen - die Auseinandersetzung mit dem
Lernstoff und die konzentrierte Aufmerksamkeit - notwendig sind, damit aus
unserer bisherigen Informationsgesellschaft zumindest
in Ansätzen eine Wissensgesellschaft werden kann.
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(Sprachen)Lernens im Kontext von Mahara-E-Portfolio – eine
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von Ines A. Busch-Lauer, Hans Giessen, Michael Langner, Adelheid Schumann
(2012): Hochschulischer Fremdsprachenunterricht – Anforderungen,
Ausrichtung, Spezifik. Saarbrücken: htw saar, 239-257.
Tassinari, Maria Giovanna (2010). Autonomes Fremdsprachenlernen. Komponenten,
Kompetenzen, Strategien. Frankfurt/Main: Narr.
Vygotsky, L.S. (1978).
Mind in Society: Development of Higher
Psychological Processes. Harvard University Press, 14. Ausgabe 1978.
[1] Vgl.
hierzu auch den Artikel „Lernen“ in Wikipedia
(http://de.wikipedia.org/wiki/Lernen (Zugriff 28.8.2012)
[2] So hat z.B. Radio SWR
einen kompletten Chinesischkurs mit 70 Folgen online.