Wissenschaftlicher Sammelband, herausgegeben von Thomas Tinnefeld unter Mitarbeit von Ines-A. Busch-Lauer, Hans Giessen, Michael Langner, Adelheid Schumann. Saarbrücken: htw saar 2012. ISBN 978-3-942949-00-2.

 Interkulturelle Kompetenz –  Bedarfsanalyse
in der Lehrerausbildung und Umsetzungsmöglichkeiten
am Beispiel der handlungsorientierten Ansätze
Theaterspiel und Produktive Medienarbeit


Maria A. Marchwacka (Paderborn)

 „Kompetenzen werden von Wissen fundiert,
durch Werte konstituiert, als Fähigkeiten disponiert,
durch Erfahrungen konsolidiert, aufgrund von Willen realisiert.“
 (Erpenbeck 2000: 58)

Abstract (English)
The present contribution discusses and demonstrates the necessity to establish the acquisition of intercultural interaction competence as an integral part of teacher training in the area of foreign languages. The first part of the paper describes the results of a survey investigating the attitudes of German managers on the one hand and those of teachers and students of German in Poland on the other towards intercultural competency and the discrepancy between theory and practice existing in this context. The second part of the paper spotlights potential methods for the development of interactive strategies to be applied in intercultural situations in which the problems exposed in the first part might be solved on the basis of these strategies. The methods used are theatre plays and productive media work which address the understanding of ‘the Other’, the change of perspective, and students’ sensitisation. Their objective consists in dealing with intercultural misunderstandings, critical situations as well as situations of conflict in a theory-based and experience-oriented way and in contributing to the acquisition of interaction competence in language teaching.
Key words: Intercultural (interaction) competence, interaction strategies, teacher training, German as a foreign language, understanding ‘the Other’, change of perspective, sensitisation, theatre play, media work


Abstract (Deutsch)
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Notwendigkeit, den Erwerb interkultureller Handlungskompetenz als Bestandteil der Lehrerausbildung im Fremdsprachenbereich zu etablieren. Im ersten Teil werden die Ergebnisse einer Befragung deutscher Führungskräfte sowie von DaF-Lehrkräften und Studierenden in Polen im Hinblick auf ihre Einstellung zu interkultureller Kompetenz sowie die daraus resultierende Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis geschildert. Im zweiten Teil werden didaktische Methoden zur Entwicklung von Handlungsstrategien in interkulturellen Situationen in den Blickpunkt gerückt, die dazu geeignet sein können, dem im ersten Teil beschriebenen Problem zu begegnen. Ziel der vorgestellten Methoden – Theaterspiel und produktive Medienarbeit, bei denen es um Fremdverstehen, Perspektivenwechsel und Sensibilisierung geht – ist es, Missverständnisse, kritische Ereignisse und Konfliktsituationen theoriegeleitet und erfahrungsorientiert zu erproben und somit zum Erwerb interkultureller Handlungskompetenz im Unterricht beizutragen.
Stichwörter:    interkulturelle (Handlungs)Kompetenz, Handlungsstrategien, Lehrerausbildung, DaF, Fremdverstehen, Perspektivenwechsel, Sensibilisierung, Theaterspiel, Medienarbeit.




1   Überschneidungssituationen und Fremdkommunikation

Wachsende Mobilität auf dem Arbeitsmarkt sowie Studentenaustausch und Praktika, aber auch zahlreiche politische und wirtschaftliche Kooperationen im kulturellen und gesellschaftlichen Bereich setzen neben Fachwissen und Fremdsprachenkenntnissen gegenseitige Verständigung und interkulturelle Kompetenz voraus, ohne die internationale Zusammenarbeit nur bedingt möglich ist. Im Kontext von Situationen auf internationaler Ebene ist darauf hinzuweisen, dass lexikalisch-grammatische Sprachkenntnisse allein keine Garantie für den Erfolg auf dem internationalen Arbeitsmarkt darstellen, da Sprache untrennbar mit kultureller Sozialisation verbunden ist und Missverständnisse auf der kommunikativen und sozio-kulturellen Ebene entstehen können, so dass Handlungsstrategien für die interkulturelle Arbeit entwickelt werden müssen.

In Anbetracht der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anforderungen sollte man in der gegenwärtigen Fremdsprachenvermittlung Konsequenzen ziehen und primär Fremdkommunikation fokussieren: Nicht mehr die grammatisch-lexikalische Sprachvermittlung sollte im Mittelpunkt der Fremdsprachendidaktik stehen, sondern das praxisbezogene Kommunizieren im interkulturellen Kontext. Deshalb kommt der interkulturellen Kompetenz beim Fremdsprachenerwerb Priorität zu, denn Mobilität ist ohne adäquate Sprachkenntnisse und ohne adäquates Fremdverstehen ineffizient. Bei der Vermittlung interkultureller Kompetenzen sind insbesondere handlungsorientierte Methoden einzubeziehen, die zwar auch kognitive Komponenten implizieren, jedoch den Schwerpunkt auf die affektiven Fähigkeiten legen.


2    Anforderungen an den DaF-Unterricht in Polen – Forschungs-ergebnisse

Bereits in den 1960er und 1970er Jahren stand im Mittelpunkt der Fremdsprachendidaktik in Polen die Frage, wie das Bildungssystem dem Arbeitsmarkt gerecht werden kann (Lauritzen 2005: 10). Der mangelnde Praxisbezug im Studium wird nach wie vor kritisiert; die Lehrmethoden und die zu erwerbenden Fertigkeiten werden nicht mit den realen Bedürfnissen von Wirtschaft und Gesellschaft in Einklang gebracht. Noch immer dominieren der Frontal­unterricht und das Auswendiglernen in der Unterrichtsdidaktik, anstatt dass die Lernenden interaktive Aufgaben und Fallbeispiele bearbeiten und schließlich kommunikative Handlungskompetenzen erwerben.

Nachfolgend werden die Ergebnisse einer explorativen Studie aus den Jahren 2007 / 2008 skizziert, die auf der Grundlage von Interviews mit deutschen Führungskräften in Polen und mit Lehrkräften an Wirtschaftlichen und Technischen Hochschulen in den drei Großstädten Warschau, Posen und Danzig durchgeführt wurde[1]. Hierzu wird der Frage nachgegangen, welchen Stellenwert der interkulturellen Kompetenz im DaF-Unterricht sowie auf dem gegenwärtigen Arbeitsmarkt in Polen eingeräumt wird.


2.1 Die Einstellung deutscher Führungskräfte zur interkulturellen Kompetenz

Die befragten deutschen Führungskräfte in Polen verweisen mit Blick auf interkulturelle Begegnungen einstimmig auf die bedeutsame Rolle der Kultur neben der Sprache, wie das folgende Zitat beispielhaft illustriert:

Sprache ist ein scharfes Schwert, aber ohne Verständnis kann ich wenig damit erreichen. (U1)

Interkulturelles Training im Sinne von Vermittlung der Kulturstandards wird von den befragten Unternehmern prinzipiell als ineffizient angesehen, da derartige Trainings die nationalen Eigenschaften als starre, theoretische Konstrukte zu vermitteln suchen, die in Wirklichkeit nie in dieser Form zu finden sind. Innerhalb einer Gesellschaft leben verschiedene Kulturen nebeneinander und sind miteinander verknüpft, sodass eine vollständige Übereinstimmung des kulturellen Normensystems nicht existieren kann. Folglich hält die Mehrheit der Befragten die von uns angesprochenen Studien und Wegweiser u.a. von Hofstede und Flader (Hofstede 1993, 2001, Flader 2006, 2008, Wojciechowski 2002) für wenig realistisch und nutzbar, weil die darin behandelten Situationen in der Praxis nicht exakt in dieser Form anzutreffen sind und selten konstant verlaufen. Infolgedessen werden kulturelle Ratgeber von der Führungsebene mit Nachdruck kritisiert:

Also ich kann Ihnen nur dazu sagen, was diese Kniggen anbetrifft (…) Bevor ich hierher kam, hat man mich in ein privates Institut geschickt. Dort lernt man eine Woche lang; man wird vorbereitet auf den Einsatz in dem neuen Land. Da lernt man solche Unterschiede und solche Fettnäpfchen kennen (...) Da kann ich nur sagen, dass 80 % von dem, was ich dort gelernt habe, absoluter Blödsinn war, absolute Theorie und absoluter Quatsch, von dem ich hier [in Polen] nichts wiedergefunden habe. (U2)
Ich glaube, dass jemand, der das geschrieben hat, reiner Theoretiker ist und sich mit der heutigen realen Welt nicht mehr auskennt. Ich habe z.B. gelernt, man darf nie einer polnischen Frau die Hand geben und man muss also noch mit Handkuss arbeiten. Solche Sachen, die kommen aus einem Knigge, also einen größeren Blödsinn habe ich hier überhaupt noch nie kennen gelernt. (U3)

Die Probanden betonen, dass das Lernen über die Kultur sogar zu Schwierigkeiten führen kann, weil die Erwartungshaltung durch erlernte Kulturstandards erhöht wird. Diese Ansicht ist insofern wichtig, als sie im Geschäftsleben zu einer doppelten Frustration beitragen kann: Einerseits ist bei einer interkulturellen Situation immer mit einer gewissen Andersartigkeit jedes Individuums zu rechnen, andererseits impliziert die Vorbereitung auf die neue Kultur bestimmte Erwartungen, die jedoch selten erfüllt werden, so dass das Gegenteil des angestrebten Effekts eintreten kann. Hier verweisen die Unternehmer auf die Notwendigkeit der Kooperation zwischen Theorie und Praxis, die bei der Entwicklung von Trainings erforderlich wird, wenn diese in der Praxis Nutzen bringen sollen.

Insbesondere diejenigen Unternehmer, die in Polen seit mehreren Jahren ansässig sind bzw. die mehrere Auslandseinsätze in unterschiedlichen Ländern vorweisen können, heben die soziale und persönliche Kompetenz hervor. Diese Gruppe stellt auch häufiger internationale Ratgeber („Kniggen“) in Frage, mit der Begründung, dass die Vermittlung von normativen Aussagen nicht die Lösung für eine gute Integration in eine internationale Firma darstellt, sondern dass vielmehr Sensibilisierung gefragt ist, die von Menschen mit eigenen Erfahrungen sowie deren Persönlichkeit abhängt:

Ich glaube nicht, dass das was mit Kultur zu tun hat. Das hat mehr mit dem Individuum, mit dem Menschen zu tun und seiner Persönlichkeit. (U4)
Ich meine nicht die Kultur, sondern gewisse Verhaltensregeln; es geht mir nicht um die Kultur, sondern um das Verhalten, um die sozialen Kompetenzen. (U1)

Ihren Erwartungen entsprechend, fordern die befragten Führungskräfte von jungen Absolventen (d.h. potenziellen Mitarbeitern) Offenheit, Neugier und „Mut zur Innovation“, die Bereitschaft, „über den Tellerrand hinaus zu schauen“, „Bereitschaft zur Erweiterung des Horizonts“, Flexibilität und Teamfähigkeit sowie Empathie, Bereitschaft zur Konfrontation und Frustrationstoleranz – sämtlich Merkmale, die auf persönliche und soziale Kompetenzen schließen lassen:

Es gibt eben nicht nur ein Land, eine Geschichte und ein Denken, sondern die jungen Leute müssen über den Zaun hinausschauen, sich weiterentwickeln. Je mehr sie kennen lernen, desto leichter wird es später, sich dann auch in der Welt angemessen zu verhalten. (U5)
Was ich mir prinzipiell wünsche, ist Offenheit. Sie sollen insbesondere neugierig sein und neuen Dingen aufgeschlossen gegenüberstehen, keine Angst haben. Sie sollen insbesondere in der Lage sein, konstruktiv auf die Dinge einzugehen… . (U6)

Die Aussagen der Unternehmer lassen die Schlussfolgerung zu, dass allein das Lernen über Kultur in Form von Kulturstandards für die Praxis nicht geeignet ist. Die Auseinandersetzung mit Andersartigkeit, Offenheit, Erfahrung im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen sowie Teamfähigkeit und Empathie sind stärker gefragt als die Kenntnisse aus theoretischen Seminaren, in denen versucht wird, das Wesen einer Kultur zu vermitteln.


2.2 Die Einstellung der DaF-Dozenten und Lehrkräfte an Hochschulen und    Universitäten zu interkultureller Kompetenz

Unter den Dozenten ist Einstimmigkeit dahingehend festzustellen, dass alle die Wichtigkeit der interkulturellen Kompetenz betonen. Dabei bleiben die Aussagen sehr widersprüchlich: Alle Lehrer betonen zwar, dass sie interkulturelle Kompetenz in ihrem Unterricht berücksichtigen (und folgen damit dem Prinzip der sozialen Erwünschtheit)[2]. Während der Interviews werden jedoch erhebliche Diskrepanzen zwischen den deklarierten und den umgesetzten Zielen deutlich: Prinzipiell wird interkulturelle Kompetenz als Landeskunde im Sinne der Vermittlung von Kulturstandards verstanden und umgesetzt, wie durch folgende Aussagen dokumentiert wird:

Für mich ist interkulturelle Kompetenz sehr wichtig, dass man den Vergleich immer irgendwie einbezieht, interkulturelle Landeskunde. (L1)

Es ist auf jeden Fall wichtig, die vorhandenen Unterschiede zu diskutieren. Ich finde es wichtig, dass man auch die Anbindung an das eigene Land, an die eigene Kultur hat. (L2)

Auffallend ist die Hervorhebung der kognitiven Vermittlung von Fakten, insbesondere im Hinblick auf Unterschiede der betreffenden Kulturen sowie auf kontrastive Linguistik bzw. Landeskunde im Sinne von Kulturstandards:

Wir behandeln Elemente der sogenannten Etikette im Geschäft, wie wir das in Polen nennen, d.h.: Wie soll man sich gegenüber Ausländern verhalten? Und wer gibt wem die Hand? Wann überreicht man Visitenkarten?, etc. Ich vermittle den Studierenden Informationen über die Mentalität der deutschen Unternehmer, wie die Unterschiede zwischen deutschen und polnischen Unternehmern in Bezug auf die Denkweise sind. (L3)

Dass interkulturelle Thematik eher am Rande behandelt wird, erklären die Probanden einerseits durch den knappen, für diese Thematik zur Verfügung stehenden Zeitrahmen, andererseits durch die fehlende fachliche Vorbereitung auf diese Thematik, insbesondere in didaktischer Hinsicht:

Selbstverständlich soll interkulturelle Kompetenz vermittelt werden. Es ist aber die Frage, ob wir als Lehrer darauf vorbereitet sind, ob wir das können, ob wir Materialien dazu haben. (L4)

Resümierend ist festzustellen, dass interkulturelle Kompetenz von den DaF-Dozenten zwar als Ziel deklariert wird, der DaF-Unterricht jedoch praktisch die Vermittlung von Landeskunde - insbesondere Kulturstandards sowie kontrastive Linguistik - fokussiert; soziale und persönliche Kompetenzen werden dabei kaum involviert.


2.3 Die Einstellung der polnischen Studierenden zu interkultureller Kompetenz

Die Vermittlung kultureller Aspekte im DaF-Unterricht wird von allen Studierenden als Schlüssel zum Verständnis einer Fremdsprache angesehen:

Ich denke, der Sprachlehrer soll immer kulturelle Aspekte thematisieren. Sprachkenntnisse bringen wenig, wenn man in ein Land kommt und auf Schritt und Tritt Fehler macht, die nicht auf die Sprache, sondern auf Sitten, Traditionen oder Regionalität zurückzuführen sind. (S1)

Dementsprechend werden kulturelle Informationen über Deutschland, über Lebensstile und Mentalität erwartet:

Der DaF-Lehrer sollte uns Kultur vermitteln, weil allein Grammatik an sich (…) Nehmen wir an, wir haben keinen Zugang zur Außenwelt: Was kann ich dann mit der Sprache machen? Nichts. (S2)

Die pragmatischen Ziele der Lernenden weisen Parallelen zu den Einstellungen der Unternehmer auf, die von potenziellen Arbeitnehmern im Hinblick auf Sprache primär effektive Kommunikation erwarten. Kritik am DaF-Unterricht wird im Hinblick auf die didaktischen Methoden geäußert, da in deren Rahmen eher rezeptive Fähigkeiten in den Vordergrund gestellt werden:

Kulturelle Aspekte sind wichtige Elemente einer Fremdsprache. Bei uns werden diese Aspekte vernachlässigt. Unsere Lehrer legen vorwiegend Wert auf Grammatik, aber für mich ist es viel wichtiger, etwas über die Kultur zu erfahren, z.B. sich einen Film oder ein Theaterstück anzuschauen oder interaktiv zu agieren. (S3)

Die Probanden assoziieren interkulturelle Kompetenz mit anderen Kulturen, anderer Mentalität, allgemein mit Kommunikation in einer Fremdsprache sowie dem Kennenlernen der Mentalität der anderen Kultur; dabei verweisen sie auf Unterschiede, die es zu lernen gilt. Somit rücken hier – ähnlich wie bei den DaF-Dozenten – kognitive Komponenten der Kultur in den Vordergrund:

Ich verstehe darunter z.B. die Lehre über Kultur in einer Fremdsprache. (S4)
Lernen über die ausländische Gesellschaft, über Praktiken Praktikanten etc. (S5)
Lernen von Sitten und Mentalität fremder Kulturen. (S6)
Lernen von Anpassung an andere Kulturen, Gesellschaften, Sitten, Unterschiede wahrnehmen und lernen – allgemein die Fähigkeit, sich anzupassen. (S7)

Die kulturelle Sensibilisierung wird insbesondere dann offensichtlich, wenn die Studierenden über Erfahrungen aus ihrem Studentenaustausch berichten:

Ich kenne den Begriff [Interkulturelles Lernen], weil ich am Sokrates-Austausch teilgenommen habe, und hatte Kontakt mit unterschiedlichen Kulturen. Der Austausch bringt sicherlich viele Kenntnisse über interkulturelles Wissen, z.B. wie sie [die Angehörigen einer fremden Kultur] sich benehmen, wie sie lernen und auch woher die Unterschiede kommen bzw. wo wir Gemeinsamkeiten haben. (S8)

Obwohl einige Studierende (insbesondere diejenigen, die an einem Studentenaustausch teilgenommen haben) die kulturelle Sensibilisierung thematisieren, wird prinzipiell die Vermittlung von Kulturstandards sowie das Lernen über die Mentalität als Mittel zum gegenseitigen Verstehen in interkulturellen Situationen betrachtet. Die Aussagen lassen darauf schließen, dass soziale und persönliche Kompetenzen im DaF-Unterricht nur ansatzweise vermittelt werden.

In diesem Kontext ist der Verweis auf Kommunikation im Englischen durch Vertreter unterschiedlicher Kulturen in der folgenden Aussage aufschlussreich, da hier die Bedeutung der eigenen kulturellen Sozialisation sowie deren Auswirkung auf die Kommunikation und daraus resultierende Missverständnisse problematisiert werden und gleichzeitig die Sensibilisierung für die andere Kultur offenbart wird:

Heutzutage wird i.d.R. in fast jedem Unternehmen Englisch verlangt mit der Begründung, dass Englisch die Kommunikation erleichtert. Hinzu kommt, dass kulturelle Unterschiede dadurch nivelliert werden, und so entwickelt sich eine globale Kultur. Aber: Häufig sprechen wir Englisch aber denken Deutsch, Polnisch oder Russisch, und dann stellt man fest, dass man etwas anderes sagt, als man denkt. So entstehen auch Missverständnisse, Schwierigkeiten in der Kommunikation, die man nicht genau begründen kann, denn formal scheint alles korrekt zu sein; aber die feinen mentalen Hintergründe werden nicht wirklich erfasst. Somit bin ich der Meinung, dass man die Kultur der jeweiligen Sprache stärker im Unterricht verankern soll. (S9)


2.4  Interkulturelle Kompetenz: Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis

Der Erwartungshaltung der Unternehmer wird von Seiten der Lehre an den Technischen und Ökonomischen Hochschulen nicht entsprochen: Während die Unternehmer großen Wert auf mündliche Kommunikation sowie auf soziale und persönliche Kompetenzen legen, beschränkt sich der DaF-Unterricht primär auf Lexik, Grammatik und Kulturstandards, sodass der Fokus auf kognitives Wissen gelegt wird. Demnach wird die Erkenntnis, dass  interkulturelle Kompetenz im Sinne sozialer Kompetenz (Empathiefähigkeit, Bereitschaft zum Perspektivenwechsel, Ambiguitätstoleranz) dem Fremdsprachenunterricht nicht von außen verordnet werden kann, sondern ihm inhärent ist und zu den Aufgaben des DaF-Unterrichts gehört - an polnischen Hochschulen zwar verbal deklariert, jedoch in der Praxis nicht umgesetzt.

Die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis ist auf die Ausbildung der Lehrer zurückzuführen, die den aktuellen Anforderungen der Arbeitswelt sowie dem Qualifikationsprofil des Arbeitsmarktes nicht gerecht wird: Interkulturelle Bildung ist im Rahmen der Lehrerausbildung kein fester Ausbildungsbestandteil; im Bereich der Fremdsprachen werden insbesondere Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Linguistik und Landeskunde fokussiert bzw. im Rahmen von bilingualen Projekten und Kooperationen praktiziert, so dass im Unterricht primär kognitives Wissen vermittelt wird.


3     Konzeptionelle Gedanken zu Handlungsstrategien im interkulturellen Lernprozess

Verstöße gegen Kommunikations-Konventionen (latente Botschaften der manifesten Aussagen, Konnotationen) sind in interkulturellen Begegnungen allemal gravierender als sprachliche Fehler. Kommunikation in einer Fremdsprache erfordert neben der Verwendung korrekter Begriffe mit adäquater Bedeutung auch Formulierungen, die der jeweiligen Situation angemessen sind. Insofern dürfen sozio-kulturelle Aspekte in einer Kommunikation nicht ausgeblendet werden: Missverständnisse entstehen selten aufgrund inkorrekter Sprachverwendung, häufiger dagegen aufgrund von Verständnisproblemen auf der Beziehungsebene. Schließlich ist dabei interkulturelle Kompetenz gefragt, die sich nicht auf das Wissen über die Sprache sowie das Wissen über die Kultur – häufig als unreflektiert vorhandenes oder angeeignetes deklaratives Wissen – beschränkt. Vielmehr muss das Wissen durch die handelnden Personen erst erkennbar werden (prozedurales Wissen). Die Klassifizierung von Ryle verweist auf „knowing that“ und „knowing how“ als praktisches Wissen (Ryle 1969: 26ff.). Dabei betont Ryle den folgenden Zusammenhang: Deklaratives Wissen kann durch Übungen in prozedurales Wissen umgewandelt werden. Somit sind für die fremdsprachliche Kommunikation sprachliche Kompetenz und kommunikative Fertigkeiten und Strategien erforderlich sowie allgemeines und spezifisches kulturelles Wissen, das in einer konkreten Handlungssituation adäquat umgesetzt wird.

Demzufolge sollte sich die Lehrerausbildung verstärkt an der kommunikativen und interkulturellen Didaktik als notwendige Bestandteile des Lehrer-Kompetenzprofils orientieren. Für einen effektiven und praxisorientierten Unterricht sind didaktische Maßnahmen notwendig, die vermehrt interaktive Lehrmethoden einsetzen und fördern, um vielfältige Unterrichtsformen zu ermöglichen. Bei der Gestaltung des Unterrichts sind didaktische Prinzipien wie Anschaulichkeit, Selbstständigkeit, Exemplarität sowie Handlungsorientierung zu beherzigen. Hierzu ist das Methodenrepertoire prinzipiell zu erweitern durch Rollenspiele, die zur Entwicklung von Kreativität und sozialer sowie persönlicher Kompetenz beitragen, durch Fallbeispiele, die die Kreativität und Fähigkeit zur Teamarbeit stärken sowie durch produktive Medienarbeit und szenische Spiele (z.B. in Form von Theaterstücken), in denen kritische Ereignisse nach der Critical-Incident-Methode[3] bzw. Auseinandersetzung mit Stereotypen simuliert werden: Auf diese Weise können eigene Verhaltensweisen analysiert und eigene Handlungsstrategien verbessert werden. Bei den geforderten Lernmethoden und der Verwendung multimedialer Lehrmaterialien kommt dem Lehrer die Rolle zu, den Lernweg zu organisieren und den Lernenden als Berater oder Moderator zur Verfügung zu stehen. Lehrer sind dann als kulturelle Mediatoren und „Architekten“ von Lernprozessen zu begreifen.


3.1 Theaterspiel und Produktive Medienarbeit als Beitrag zum Erwerb der Handlungskompetenz in interkulturellen Situationen

Interkulturelle Überschneidungssituationen kommen in Anbetracht der gegenwärtigen Globalisierung beinahe überall in Schulen, Hochschulen, Institutionen und Unternehmen bzw. bei internationalen Projekten und Kooperationen vor. Die Gegenüberstellung von verschiedenen Interessen, Einstellungen, Ansichten, Verhaltensweisen, die auf unterschiedliche Kulturstandards zurückzuführen sind, führt leicht zu Irritationen oder Missverständnissen. Die Interaktion wird oft von Verunsicherung und Desorientierung begleitet, da die jeweiligen kulturellen Orientierungssysteme häufig auf Unverständnis und Unsicherheit stoßen. Die Folgen können vielfältige Spannungen, kritische Situationen sowie Konflikte sein. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass den sprachlichen Missverständnissen ein fördernder Stellenwert für den interkulturellen Lernprozess einzuräumen ist, weil sie zur Reflexion beitragen und somit den Lernprozess initiieren können. Hierzu bietet sowohl Theaterarbeit als auch Medienarbeit zahlreiche Möglichkeiten, die kritische Situation als Grundlage zu nehmen, um die Initiierung des interkulturellen Lernprozesses zu fördern und auf diese Weise zur Entwicklung von Handlungsstrategien sowie zur Perspektivenübernahme beizutragen. Nachfolgend werden die Ansätze von Theaterspiel und Produktiver Medienarbeit kurz skizziert.


3.1.1 Theaterspiel

Das Theaterspiel vermittelt soziale und kommunikative Schlüsselqualifikationen, insbesondere Fähigkeitsschulung in Empathie, Identitätsfindung, Toleranz und Rollendistanz sowie Rollenerprobung (Bidlo 2006: 35). Die Übernahme der Rolle impliziert im Theaterspiel immer zwei antagonistische Betrachtungsweisen: Gemeinschaftsarbeit und Eigenarbeit. D. h. Veränderungen werden sichtbar nach außen und unsichtbar nach innen vollzogen (Bidlo 2006: 23). Außerdem ermöglicht die Theaterarbeit den Spielenden das Ausprobieren unterschiedlicher Rollen, womit sowohl die Auseinandersetzung mit sich selbst als auch mit der Rolle einhergeht, sodass Distanz zur eigenen Perspektive gewonnen wird und damit ein Perspektivenwechsel erfolgt. Nach Hentschel gilt: Nicht Wissen (über Differenzerfahrungen), „…sondern Erleben ist das Medium von Wirkung. Schlüssel der Wirkungen des Mediums Theater ist sein Spielcharakter“ (Hentschel 2009: 110) Der Spielcharakter räumt dem Individuum und seiner Rolle bzw. Figur einen breiten Handlungsraum ein und fördert damit die Entwicklung von Handlungsstrategien:

Theater bietet (…) kein Gesamtbild, sondern arbeitet mit Lücken, die durch die Phantasie des Zuschauers gefüllt werden müssen. Hier ist ein immenser Platz für den Einzelnen, seine Erfahrungen, Wahrnehmungen, Wünsche, Ängste ins Spiel zu bringen. Hier können ungewohnte, verrückte Zusammenhänge gestiftet, Zeichensysteme entziffert, Weltentwürfe imaginativ erprobt und hier kann (…) auch Unbekanntes entdeckt werden (…) (Hentschel 2009: 116).




3.1.2  Produktive Medienarbeit



Das Projekt VideoCulture (Niesyto 2003)[4] kann prototypisch für aktive Medienarbeit in der Kulturverständigung angesehen werden. Medienarbeit verfolgt die Lernprinzipien Handelndes Lernen und Exemplarisches Lernen sowie Gruppenarbeit. Das Prinzip Handelndes Lernen geht auf Dewey (Learning by doing) zurück und impliziert die aktive Auseinandersetzung der Lernenden mit sozialer Realität und eigenverantwortliches Lösen von Problemen (Schell 2005: 9-16). 

Dem Prinzip der Handlungsorientierung schließt sich die Methode Visual Didact nach Weng[5] an, die selbstgesteuerten Wissenserwerb, Wissenstransfer und eigenständige Produktion fokussiert (Weng 2010: 21f). Die Projekt­gruppe bearbeitet selbst gewählte Themen und präsentiert die Ergebnisse in Form von Kurzfilmen, wobei zum einen eine intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten erfolgt und zum anderen Prinzipien des informellen Lernens (kollaterales Lernen) sowie des Lernens durch Lehren zum Tragen kommen (Weng 2011). Diese kreative Art der Bearbeitung eines Themas schließt die oben genannten Prinzipien des selbstständigen Handelns und exemplarischen Lernens sowie die anschließende Analyse der erworbenen Kompetenzen ein.


3.2 Umsetzung der interaktiven Methoden Theaterspiel und Videoarbeit in der Lehrerausbildung

Erfahrungen mit den interaktiven Methoden des Theaterspiels und der Videoarbeit wurden von der Autorin sowohl im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit im Fremdsprachenbereich als auch durch die von ihr geleiteten Seminare zum Erwerb interkultureller Kompetenz im Bereich des erziehungswissenschaftlichen Studiums für Lehramtsstudenten gewonnen.[6] Obwohl der Schwerpunkt zunächst auf dem Theaterspielen lag, kristallisierte sich im Laufe der Zeit eine zunehmende Bereitschaft der Studierenden zu produktiver Medienarbeit in Form von Kurzfilmen, Reportagen sowie kurzen Szenen heraus. Kritische Ereignisse (Critical-Incident-Methode; Konfliktsituationen), deren Grundlage unterschiedliche kulturell geprägte Sicht- und Verhaltensweisen bilden, werden dabei anhand eines Konzepts analysiert, präsentiert und reflektiert. Die interaktiven Methoden erlauben eine erfahrungsorientierte und wissensorientierte Bearbeitung der einzelnen Themen, die von den Studierenden aus einem vorgegebenen Themenbereich[7] selbst gewählt werden.  

Im Folgenden wird der drehbuchorientierte Ansatz der produktiven Medienarbeit und des Theaterspiels als Verlauf und dazugehörige Komponenten als Prozess in Form einer Graphik veranschaulicht (Abb. 1).

In der ersten Phase recherchiert die Projektgruppe zu ihren Themen und versucht, ihren Sichtweisen Ausdruck zu verleihen; dabei werden eigene Erfahrungen ausgetauscht. Aus den Themenrecherchen und den produktiven Diskussionen wird innerhalb der Projektgruppe in der zweiten Phase dann das gemeinsame Konzept entwickelt. Der Seminarleiter begleitet und beobachtet den Rezeptionsprozess der Gruppe und steht für Diskussionen zur Verfügung.

In der dritten Phase wird das Drehbuch geschrieben und innerhalb der Gruppe diskutiert; hier sind Neugier sowie Kreativität und Teamfähigkeit gefordert, um eine kollektive Autorenschaft zu garantieren. Anschließend erfolgt die Arbeit am Set (Videoarbeit oder Vorbereitung auf das Theaterspiel). In dieser Phase analysiert die Projektgruppe die konflikthaften Episoden und erprobt die Rollen; die fremde Perspektive wird bewusst erlebt – die Akteure identifizieren die einzelnen Eigenschaften der Rolle und setzen sich mit diesen kon­struktiv auseinander – und die eigene Sichtweise relativiert. Die gespielte Situation konstituiert sowohl einen inneren als auch einen äußeren Konflikt: Die Darsteller geraten in Gedanken und mit ihrer Rolle bzw. Figur in Widerstreit, so dass der Lernprozess des Eigen- und Fremd­verstehens in Gang gesetzt wird. Diese Arbeit impliziert Ambiguitäts- und Frustrations­toleranz, die entwickelt werden muss, sowie Empathie,  die   für   die   Perspektivenübernahme   erforderlich   ist.  Zusammenfassend






D
Abb. 1: Verlauf und Lernprozess der Projektgruppe



erfolgt die Arbeit auf zwei Ebenen: Arbeit an sich selbst und an dem Anderen (der Rolle / Figur). Dabei bieten die kritischen Ereignisse (als Themen) gute Möglichkeiten, adäquate Handlungsstrategien zu entwickeln.

Bei der Präsentation und der daran anschließenden Nachbesprechung im Seminar werden zum einen die Erklärungsansätze der Situation und zum anderen die Rollen der Akteure thematisiert. Die Reflexionen werden nach folgenden Leitfragen schriftlich festgehalten:
  • Was wollte die Projektgruppe mit der Rolle zum Ausdruck bringen? (Intention, subjektive Erfahrungen und Diskussion in der Projektgruppe)
  • Welches Ziel wurde verfolgt? (Ziel, Beweggründe)
  • Warum wurde diese Situation / dieser Konflikt gewählt? (Vorerfahrungen, Motivation)
  • Welche Gefühle haben die Akteure bei den einzelnen Szenen begleitet? (Perspektivenwechel, Konfliktsituation)
  • Inwiefern haben sich die Einstellungen gegenüber der Situation / der Rolle während des Projekts verändert? 
Während der Arbeit der Projektgruppe lassen sich bei den einzelnen Konfliktsituationen bzw. kulturellen Missverständnissen folgende Etappen festhalten:
Abb. 2: Etappen interkultureller Handlungskompetenz

Im Mittelpunkt der Theaterspiele sowie der produktiven Medienarbeit steht nicht die Vermittlung kulturkontrastiver Fakten, sondern die Vermittlung von affektiven Fähigkeiten und die Entwicklung von Handlungsstrategien, die den adäquaten Umgang mit der Rolle (dem Anderen) unter Berücksichtigung der jeweiligen Konfliktsituation ermöglichen. Dabei sollen sich die Akteure der kulturellen Gebundenheit bewusst werden, die kulturellen Einflussfaktoren im Denken, Urteilen, Empfinden und Handeln bei sich und bei dem „Anderen“ (der Rolle) erfassen und deren Wirkung analysieren. Bei der Übernahme der anderen Perspektive wird von den Spielenden eine kritische Distanz zu sich selbst und ein gewisses Maß an Identifikation und Empathiefähigkeit verlangt. Hauptziel ist es, monokulturelle und ethnozentrische Sichtweisen zu überwinden, interkulturelle Kommunikation in der „gespielten“ Rolle als interpretativ und diskursiv zu betrachten und dabei Frustrations- und Ambiguitätstoleranz zu entwickeln.


4   Vorteile handlungsorientierter Methoden für den interkulturellen Lernprozess

Selbstreflexion und Fremdverstehen sowie Empathie und Perspektivenwechsel stehen im Fokus interkultureller Kompetenz (Auernheimer 2007), so dass die Vermittlung durch handlungsorientierte Methoden – u.a. Theaterspiel und Produktive Medienarbeit – zu empfehlen sind. Im Einzelnen offenbaren sich folgende Vorzüge:

·   Das Theaterspiel fördert die emotionalen, intellektuellen, kreativen, individuellen und sozialen Fähigkeiten und trägt zur Persönlichkeitsentwicklung bei. In diesem Zusammenhang ist der Verfremdungseffekt[8] hervorzuheben, der durch wiederholten Perspektivenwechsel zustande kommt, und demzufolge die Betrachtung des Sach­verhalts aus einer dritten Perspektive. Ein weiteres Kriterum, das für den Einsatz von Theaterarbeit spricht, ist die sich dadurch bietende Möglichkeit, das Lernen als sozialen Prozess und als Lernprozess in Bezug auf sich selbst und den Anderen zu begreifen:

Wer zu spielen bereit ist, ist offen für anderes, für Veränderung. (…) Er hält sich für das andere, das Fremde, das Nonkonforme bereit, gerüstet einen Schritt über sich selbst hinaus zum anderen hin zu tun. (Rellstab 2000: 188)

· Videoarbeit kann als handlungsorientierte Methode betrachtet werden, die an die Erfahrungsorientierung der Projektgruppe anbindet und sie durch die kreative Form der Arbeit motiviert. Darüber hinaus wird der Sachverhalt lebendig und anschaulich durch Bilder, Musik und Töne dargestellt und spricht damit die emotionale Ebene an, so dass Bildung nach Pestalozzi mit „Kopf, Herz und Hand“ erfolgen kann. Hinzu kommt, dass die Präsentation von fertigen Medienprodukten Anerkennung sowie positives Feedback ermöglicht (Holzwarth 2007: 101-116).

Die Akteure erhalten dank der genannten Methoden die Möglichkeit, unterschiedliche Verhaltensoptionen in Interaktionen auszuprobieren und anschließend ihre doppelte Perspektive (das „Ich“ und die „Rolle“) zu reflektieren. Da unterschiedliche Werte und Deutungsmuster in Interaktion treten, werden Differenzerfahrungen sowie Fremdheitsgefühle ausgelöst. Durch die Einnahme einer Rolle werden eigene Stärken und Schwächen erlebt und fremde Handlungsstrategien erprobt, so dass eine kreative Auseinandersetzung mit sich selbst erfolgt und auch die kommunikative Ebene einbezogen wird. Demzufolge impliziert der interaktive, selbstgesteuerte Lernprozess sowohl das kognitive Wissen als auch affektive und handlungsorientierte Komponenten.

Beim Fremdverstehen steht im Vordergrund, die Andersartigkeit des Fremden zu respektieren, aber diese nicht im Verstehensprozess aufzuheben. Dabei soll die Kluft zwischen dem Eigenen und dem Fremden im hermeneutischen Sinne anerkannt werden, und im nächsten Schritt soll eine dialogische Annäherung erfolgen, so dass die Opposition zwischen dem Eigenen und dem Fremden nicht zu einem Schematismus statischer Zuweisung wird, sondern in einem dialektischen Prozess zur Veränderung (dialogischem Austausch) und zum Verstehen beiträgt. Bei dem Prozess des Verstehens spielen die eigene Perspektive des Ich und des Anderen und ihre Umkehrbarkeit eine entscheidende Rolle. So wird versucht, Distanz zur eigenen Perspektive zu gewinnen, sich selbst kritisch zu hinterfragen, sich mit den Augen des Anderen zu sehen - und somit die Doppelperspektive zu erkennen und einzusetzen. In diesem Kontext ist auf den Verfremdungseffekt hinzuweisen, der die dritte Perspektive der Betrachtung eröffnet. So ergibt sich als Lernziel des Theaterspiels und der Videoarbeit die Einübung einer perspektivischen Betrachtung, die darin besteht, die Perspektive des jeweils Anderen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie auch versuchsweise und zeitweise zu übernehmen. Als weiteres Ziel kann soziales Lernen betrachtet werden, d.h. die Entwicklung der Fähigkeit, sich in die Position eines Anderen hineinzuversetzen, seine Gedanken und Gefühle nach­zu­vollziehen und seine Handlungsweise zu verstehen. Dabei ist die implizierte Empathie die Bedingung gelingender Interaktion und die Grundlage des Fremdverstehens.

In Bezug auf die interkulturelle Kompetenz und die dazugehörigen affektiven und verhaltensbezogenen Komponenten sowie die Prozessanalyse der Projektgruppen lassen sich die handlungsorientierten Methoden und ihre Wirkung nach Bidlo (2006: 22 f) wie folgt in Form einer Grafik festhalten:


Abb. 3: Theaterspiel / Videoarbeit im Kontext interkultureller Handlungskompetenz

Resümierend sind die interaktiven Methoden insofern zu empfehlen, als sie erlauben, über die ethnozentrische Sichtweise hinaus zu blicken und auf der Metaebene zu interagieren. Durch szenische Spiele (Theaterspiel, Videoarbeit, Kurzfilm) wird versucht, Distanz zur eigenen Perspektive zu gewinnen, die eigenen Einstellungen kritisch zu hinterfragen, sich mit den Augen des Anderen zu sehen und somit die Doppelperspektive zu erkennen und einzusetzen. Durch die Einübung einer perspektivischen Betrachtung wird das Ziel verfolgt, die Perspektive der Protagonisten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie auch zeitweise zu übernehmen und die Konfliktsituation in eigener Regie zu erleben, zu präsentieren und aus der nötigen Distanz zu betrachten. Darüber hinaus werden Kooperationsfähigkeit sowie Konfliktfähigkeit gefördert, da die Regeln der gemeinsamen Arbeit auszuhandeln sind und Handlungsstrategien für eine gemeinsame Regie entwickelt werden müssen. Somit eignen sich diese erfahrungsorientierten, interaktiven Methoden für den interkulturellen Lernprozess, da sie zur Reflexion der eigenen Sichtweise, zur Selbstkritik, zum Perspektivenwechsel, aber auch zur Selbstveränderung beitragen und damit einen Raum zum Ausprobieren schaffen und schließlich zur Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz beitragen.




Bibliographie

Auernheimer, Georg (2007). Einführung in die interkulturelle Pädagogik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Bidlo, Tanja (2006). Theaterpädagogik: Einführung. Essen: Oldib.

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[1] Insgesamt wurden 36 Probanden interviewt, die folgendermaßen nach Statusgruppen unterteilt wurden: 18 Studierende (S), 9 Unternehmer (U) und 9 DaF-Lehrer/-innen (L). Darüber hinaus wurden zur Unterstützung der Studie 116 Fragebögen sowie Gruppengespräche und Analysen amtlicher Verlautbarungen (Curricula/Richtlinien des Ministeriums für Hochschulen sowie Curricula der Hochschulen) herangezogen. Die Auswertung der Interviews erfolgte nach den Kriterien der strukturierten Inhaltsanalyse (Mayring 2003: 58). Die detaillierte Auswertung ist in Marchwacka (2010) publiziert.
[2]  Interkulturelle Kompetenz wird nach den Vorgaben des polnischen Ministeriums für Bildung und Hochschulbildung in den Bildungsprogrammen verankert, und somit wird die Umsetzung dieser Vorgaben in den Schulen und Hochschulen erwartet.
[3] Die Critical-Incidents-Methode geht auf Flanagan (1954) zurück und wurde in den 1980er Jahren in den USA im Rahmen von interkulturellen Trainings angewendet. In Deutschland wurde die Methode von Thomas / Kinast / Schroll-Machl mit dem Ziel der Vorbereitung auf einen Auslandsaufenthalt weiterentwickelt (vgl. Thomas / Kinast / Schroll-Machl 2000). Auch in der universitären Kommunikation wird die Critical-Incidents-Methode angewendet und evaluiert (vgl. das Projekt MuMis unter der Leitung von Adelheid Schumann, Schumann 2008, 2011).
[4] Niesyto setzte bei dem Forschungsprojekt VideoCulture – Video und interkulturelle Kommunikation, das von 1997 bis 2000 an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg durchgeführt wurde, Videoarbeit ein, um den interkulturellen Lernprozess bei den Lernenden zu initiieren (Niesyto 2001: 157-172).
[5] Weng arbeitet seit 2005 am Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre der Technischen Universität Berlin mit der Methode Visual DidactEr verwendet die Methode sowohl im Bereich der Präventionsarbeit als auch in der Arbeitslehre. Eine ausführliche Beschreibung der Methode findet sich unter: http://www.visual-didact.de/. .
[6] Theaterspiel und Videoarbeit werden von der Autorin seit dem Sommersemester 2010 im Rahmen der jedes Semester stattfindenden Seminare mit dem Titel Interkulturelle Kompetenz als Teil pädagogischer Professionalität an der Universität Paderborn angewandt. In Seminaren zur Ausbildung von DaF-Lehrern in Polen (an Hochschulen in Köslin und Danzig) sowie an privaten Sprachschulen wurde primär das Theaterspiel umgesetzt.
[7] Beispiele vorgegebener Themenbereiche sind etwa: „Tabu“-Themen, Mehrsprachigkeit, Zweisprachigkeit, Stereotypen und Pauschalisierung, Fremdbilder / Fremdverstehen, Eltern-Lehrer-Interaktionen, Schüler-Schüler-Interaktionen, Ghettoisierung, Patchwork-Identität sowie Wertevermittlung.
[8] Der Verfremdungseffekt ist ein literarisches Stilmittel im epischen Theater und geht auf Brechts Theaterstücke zurück (vgl. Brecht 1993). Die Verfremdungseffekte in seinen Lehrstücken bieten die Möglichkeit zu soziologischen Experimenten, da durch sie die Tiefenstruktur der sozialen Wirklichkeit wahrgenommen werden kann. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Steinweg 1995, der die Lehrstücke von Brecht und deren Verfremdungseffekte in der außerschulischen Jugendarbeit erprobt hat.