Wissenschaftlicher Sammelband, herausgegeben von Thomas Tinnefeld unter Mitarbeit von Ines-A. Busch-Lauer, Hans Giessen, Michael Langner, Adelheid Schumann. Saarbrücken: htw saar 2012. ISBN 978-3-942949-00-2.


                        Fremdsprachenunterricht an Hochschulen:    
UNIcert® und die Hochschulspezifik

Bernd Voss (Dresden)


Abstract (English)
UNIcert® was created as a system for the development and certification of foreign language competencies especially for institutions of higher education. The paper provides an overview of what can (and perhaps also: should) be understood by the ‘specifics’ of language learning and teaching in institutions of higher education. It also briefly reports on a research project (currently nearing completion) complementing the Common European Framework of Reference for Languages CEFR by (calibrated) descriptors for the domain of higher education.
Key words: UNIcert, certification

Abstract (Deutsch)
UNIcert® versteht sich als fremdsprachliches Ausbildungs- und Zertifikationssystem speziell für den Hochschulbereich. Der Beitrag geht der Frage nach, was unter Hochschulspezifik im Fremdsprachenunterricht verstanden werden kann (und sollte), und berichtet u.a. über ein kurz vor dem Abschluss stehendes Forschungsprojekt zur Ergänzung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) durch (kalibrierte) hochschulspezifische Deskriptoren.
Stichwörter: UNIcert, Zertifizierung



1   Einleitung

Der Fremdsprachenunterricht an Hochschulen steht unter ständiger Beobachtung, wenn nicht gar permanentem Rechtfertigungsdruck. Man mag dies gelegentlich irritierend finden, aber es ist dies sicherlich nicht grundsätzlich als bedenklich anzusehen, denn jeder Arbeitsbereich einer Hochschule muss sich immer wieder in Frage stellen lassen und neu erfinden können. Es ist keineswegs abwegig, den eigenen Mehrwert für das Profil der Einrichtung in regelmäßigen Abständen deutlich machen zu müssen, und so sind die üblichen Diskussionen über Sprachenangebot, Ausrichtung und Umfang des Fremdsprachenunterrichts an Hochschulen dem Grunde nach eher zu begrüßen, da sie Anlass sind, sich für die genannten Problemfelder in einer sich ständig wandelnden Welt um jeweils angemessene und aktualisierte Antworten zu bemühen. Von besonderer Relevanz – und gelegentlich auch Schärfe – ist bei diesen Diskussionen allerdings die immer wieder auftauchende Frage nach der ‚Hochschulspezifik’ des Fremdsprachenunterrichts an Hochschulen. Die inhaltliche Relevanz der Frage ist unmittelbar einleuchtend - die Schärfe kommt dadurch hinein, dass sie häufig nicht aus tatsächlichem Erkenntnisinteresse aufgeworfen wird, sondern mit dem Ziel, generell in Frage zu stellen, ob es sich hier überhaupt um ein hochschulspezifisches Aufgabenfeld handelt, das sich von dem der allgemeinen Erwachsenenbildung unterscheidet und das, wenn nicht dann vielleicht besser (weil eventuell billiger?), dahin ausgelagert werden könnte und sollte.

Es gibt also gute Gründe, der Frage der Hochschulspezifik des Fremdsprachenunterrichts an Hochschulen etwas genauer nachzugehen, und wir wollen dies in der folgenden Darstellung tun, indem wir am Beispiel des hochschulspezifischen Ausbildungs- und Zertifikationssystem UNIcert® für Fremdsprachen im Hochschulbereich unsere Vorstellungen von einem hochschulspezifischen und hochschuladäquaten Fremdsprachenunterricht darlegen und näher erläutern - in der Erwartung, dass diese Vorstellungen nicht nur für UNIcert® Gültigkeit haben, sondern generell für das Arbeitsfeld charakteristisch sind. Hierzu soll zunächst ein kurzer Überblick über UNIcert® gegeben werden, bevor die hochschulrelevanten Aspekte in einiger Detailtiefe dargestellt werden. Als Ausblick fügen wir noch einen Bericht an über ein kurz vor dem Abschluss stehendes Forschungsprojekt zur Ergänzung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) durch (kalibrierte) hochschulspezifische Deskriptoren.


2   UNIcert®

UNIcert® sieht sich als das Ausbildungs- und Zertifikationssystem der Wahl für den Fremdsprachenunterricht im Hochschulbereich. Es versteht Ausbildung und Ergebnisfeststellung als aufeinander bezogene Komponenten eines gemeinsamen Ganzen und eignet sich besonders für den Hochschulbereich, da es über alle Sprachen und Wissenschaftsorientierungen hinweg ein umfassendes Konzept für realistische Zielmarken, angemessene Leistungsfeststellungen und zeitgemäße Qualitätsentwicklung und -sicherung anbietet.

Als UNIcert® 1992 ins Leben gerufen wurde, war der GER noch fern und UNIcert® das einzige sprachübergreifende Modell, Fremdsprachenniveaus in Ausbildung und Ergebnisfeststellung transparent sichtbar zu machen. Es kann als Bestätigung der UNIcert® zugrundeliegenden Konzeption angesehen werden, dass der (2001 erstmals veröffentlichte) GER dann ähnliche Ziele verfolgte, allerdings - wie bekannt - mit einem sehr viel breiteren Anspruch, nämlich ausgerichtet auf das (Fremd)Sprachenlernen insgesamt und allgemein, innerhalb sowie auch außerhalb institutionalisierter Kontexte. Der Erfolg des GER zeigt, dass es ein grundlegendes Bedürfnis nach entsprechender Orientierung gab (und gibt). UNIcert® fügt sich mit seiner Fokussierung auf die besonderen Anforderungen des Hochschulbereichs nahtlos in diese Bedarfslage ein und stellt eine spezifische Interpretation fremdsprachlicher Kompetenzprofile auf hochschulrelevanten Niveaustufen zur Verfügung. 

Inzwischen gibt es deutlich über 50 akademische Einrichtungen im In- und auch im Ausland, welche die UNIcert®-Konzeption als Ordnungsprinzip für die (in der Regel nicht-philologische, auch wahlobligatorische oder fakultative) Fremdsprachenausbildung im eigenen Hause nutzen und die sich für die Verleihung von UNIcert® -Abschlüssen haben akkreditieren lassen. UNIcert®-akkreditierte Einrichtungen folgen gemeinsamen Zielmarken in Ausbildung und Zertifizierung fremdsprachlicher Leistungen sowie notwendigen Qualitätsstandards in der Umsetzung dieser Ziele. Im Jahre 2011 wurden u.a. die Universitäten Bonn und Bielefeld neu akkreditiert, und es wurden bisher über 70 000 UNIcert®-Zertifikate für den erfolgreichen Abschluss einer Niveaustufe erteilt.

Es ist hier nicht der Ort, über alle Einzelheiten der UNIcert®-Initiative zu informieren, aber die genannten Stichpunkte vermögen vielleicht einen ersten Eindruck zu vermitteln. Weitergehende Informationen zu UNIcert® lassen sich unschwer über die Bibliographie am Ende dieses Beitrags erschließen sowie unter der Website www.unicert-online.org.


3   UNIcert® und die Hochschulspezifik

Versucht man, sich einen Überblick über den Fremdsprachenunterricht an Hochschulen zu verschaffen, kann man nicht selten die Beobachtung machen, dass die Sprachausbildung auf eine Reihe sogenannter „internationaler“ oder auch „international anerkannter“ Zertifikate externer Anbieter aus den verschiedenen Nationen und Kulturkreisen ausgerichtet ist. Es ist sicher nicht uninteressant für Studierende, solche Zertifikate zu erwerben, zeigen sie doch ein Interesse an Fremdsprachenkenntnissen und geben eine Momentaufnahme über ihren aktuellen Stand. Allerdings gerät dabei gern aus dem Blickfeld, dass die „internationale Anerkennung“ eine Sache des Bekanntheitsgrades ist – es gibt keinen offiziellen Mechanismus für solche Anerkennungen, außer dass ein Zertifikat der anerkennenden Stelle bekannt ist und deshalb anerkannt wird. Insbesondere aber gerät aus dem Blickfeld, dass die meisten der externen Zertifikate auf den allgemeinen Fremdsprachenlerner ausgerichtet sind und wenig bis nichts mit der Erfassung derjenigen Sprachkenntnisse zu tun haben, die speziell im Hochschulbereich erforderlich sind. Da diese Zertifikate jedem offenstehen, es also für den Erfolg keine Rolle spielen kann und darf, ob oder was jemand studiert, kommt man dann schnell zu der Frage, warum sie – einschließlich der Vorbereitungen auf diese Zertifikate hin – nicht tatsächlich genauso gut außerhalb des Hochschulbereichs gemacht bzw. erworben werden können. 

UNIcert® versucht, dieses Problem durch einen anderen Ansatz anzugehen. UNIcert® wurde als dezentrales System konzipiert. Es versteht sich als bottom-up-Konzept - im Gegensatz zu den zentralisierten Systemen, die top-down durch ihre extern ausgearbeiteten und vorgegebenen Prüfungsverfahren und -inhalte die Ausbildung de facto fernsteuern. Plakativ formuliert, kann man UNIcert® als ausbildungsgesteuert - im Gegensatz zu prüfungsgesteuert - bezeichnen. UNIcert® geht also von der Ausbildung aus, die sich dann in geeigneter Form in den Feststellungen der erreichten Leistungen und damit auch in den Prüfungsverfahren widerspiegeln sollte.

Das hat zwei Effekte. Zum einen ist es im UNIcert®-Kontext problemlos möglich, flexibel auf zeitgemäße Entwicklungen in der Sprachausbildung zu reagieren und dies dann auch in die Prüfungsverfahren einzubringen. Die in anderen Kontexten gelegentlich zu beobachtende Diskrepanz zwischen aktuellem Fremdsprachenunterricht und sehr traditionellen Verfahren der Leistungsfeststellung – die dann wiederum rückwärtsgewandten Fremdsprachenunterricht begünstigen - lässt sich hier leichter vermeiden. Wie sich die derzeit für die universitäre Fremdsprachenausbildung stark propagierte „Handlungsorientierung“ auch in den Prüfungsverfahren abbilden und umsetzen lässt, hat z.B. Johann Fischer vor kurzem in der Handreichung Guidelines for University Language Testing (GULT) (Fischer et al. 2011[1]) ausführlich dargestellt.

Zum anderen ist es im UNIcert® Kontext problemlos möglich, in Sprachausbildung und Leistungsfeststellung studien- und berufsrelevante Inhalte aus den verschiedenen Fachdisziplinen einzubringen. In welchen fremdsprachlichen Ausbildungsgängen und Leistungsfeststellungen wenn nicht bei UNIcert® - kann man sonst Inhalte finden aus den Bereichen VeterinärmedizinBauingenieurwesenNautikMaschinenbauArchitekturElektrotechnikGarten- und Landschaftsbau oder auch Agraringenieurwesen. Dabei geht es nicht um eine ganz enge und ausschließliche Fachbindung – es ist keine Zumutung für einen Akademiker, sich auch einmal mit Inhalten aus einem anderen Fachbereich zu befassen –, sondern um eine Fachorientierung, die allerdings zu der Vorstellung beiträgt, dass eine anspruchsvolle, differenzierte Sprache nur an anspruchsvollen, differenzierten Inhalten geschult werden kann. Hier haben es zentralisierte Systeme für alle und jeden natürlich erheblich schwerer, und die Beobachtung zeigt, dass hier häufig die inhaltliche Trivialitätsgrenze kaum überschritten wird.

UNIcert® macht sich also dafür stark, dass der Fremdsprachenunterricht an Hochschulen in der Tat hochschulspezifisch ausgerichtet ist, indem die fachorientierte sprachliche Ausbildung im Vordergrund steht und sich diese dann entsprechend in den Verfahren der Ergebnisfeststellung widerspiegelt. Dies bedeutet - bei aller Anbindung an gemeinsame Vorgaben - eine starke Diversifikation, mit je nach Fachgebiet unterschiedlichen Inhalten bis hin zu fachbereichstypischen Arbeitsformen in Ausbildung und Prüfung. Ziel bei UNIcert® ist dabei Vergleichbarkeit, nicht Identität. Es ist allerdings offensichtlich, dass dieser dezentrale Ansatz einen Preis hat, und zwar den einer geringeren Standardisierung gegenüber zentralen Verfahren, bei denen alle dasselbe machen. Wir sind der Auffassung, dass die größere Nähe von Ausbildung und Ergebnisfeststellung an den jeweiligen Notwendigkeiten des Hochschulbereichs dies mehr als aufwiegt. Wie diese Notwendigkeiten aussehen, soll nun etwas genauer dargelegt werden.

Die Sprachlernnotwendigkeiten von Studierenden lassen sich in abstracto nur schwer beschreiben, entsprechend gibt es vielfache Unklarheiten und Meinungsunterschiede über das, was eigentlich im Fremdsprachenunterricht an Hochschulen erreicht werden soll, und die fremdsprachlichen Kompetenzen, die von den Absolventen einer akademischen Einrichtung erwartet werden, erscheinen häufig diffus, zufällig oder willkürlich. Etwas mehr Klarheit lässt sich hier verschaffen, wenn man von der Frage ausgeht, in welchen Kommunikationskontexten sich Studierende sprachlich kompetent bewegen können sollen und für die sie daher ausgebildet werden müssen. Hier lässt sich die natürliche Komplexität individueller Sprachverwendung auf drei prototypische Kontexte reduzieren.

Da ist zum einen der Kontext Fachmann - Fachmann, also die Fachkommunikation im engeren Sinne. Studierende müssen in die Lage versetzt werden, die Fachliteratur ihres Studienfaches zu bewältigen, sich an akademischen Veranstaltungen (Vorlesungen, Seminare, aber auch Konferenzen) sowohl aufnehmend wie beitragend zu beteiligen (z.B. während eines Auslandsstudiums), also am wissenschaftlichen Diskurs ihrer Fachdisziplin im Medium einer gewählten Fremdsprache teilzunehmen. Und darüber hinaus wartet dann jenseits des Studiums ein breites Feld für Fachkommunikation, das bewältigt werden muss (z.B. wenn der Ingenieur mit dem Ingenieur eines anderen Landes zusammen etwas entwirft, plant, verhandelt und umsetzt), also der Bereich der Fachkommunikation in Berufen, die auf einer akademischen Ausbildung basieren. Hier ist nicht nur - aber derzeit vornehmlich - die Fremdsprache Englisch in ihrer Rolle als internationale Wissenschaftssprache gefragt.

Da ist zum anderen der gelegentlich unterschätzte Kommunikationskontext Fachmann – Laie, also die Fähigkeit zur Darstellung fach(wissenschaft)licher Inhalte für ein Nicht-Fachpublikum, so wie ein Jurist seinem Klienten, der Arzt seinem Patienten, der Bauingenieur dem Bauherrn erläutern können muss, was beabsichtigt ist und welche Auswirkungen das haben kann. Und umgekehrt müssen die Fachwissenschaftler und Fachleute verstehen, was die Öffentlichkeit, die Auftraggeber und Kunden von ihnen erwarten, auch wenn diese das nicht in fachspezifische Begriffe fassen können. Eine Fremdsprachenausbildung an Hochschulen muss auch die für diesen Kommunikationskontext notwendigen Kompetenzen der sprachlichen Umsetzung, Adaptation und Modifikation berücksichtigen und schulen.

Und schließlich ist da noch der Kommunikationskontext der praktischen Lebensführung, einschließlich der Beachtung sozial akzeptierter Verhaltensweisen. Für Studierende besonders relevant ist dieser Kontext z.B. beim Auslandsstudium oder -praktikum, aber natürlich auch generell im privaten Kontakt mit ausländischen Fachkollegen hier oder bei Tätigkeiten im Ausland. Es ist klar, dass der Überlappungsbereich mit einer allgemeinen Fremdsprachenausbildung hier besonders groß ist; gleichwohl steht für die Fremdsprachenausbildung an Hochschulen inhaltlich nicht das Touristische im Vordergrund, sondern Information über akademische und berufliche Arbeitskontexte und interkulturelle Besonderheiten.

Wir haben anhand prototypischer Kommunikationskontexte die Sprachkompetenzen, die von Hochschulstudierenden in Studium und Beruf erwartet werden müssen, mit einer gewissen Ausführlichkeit dargestellt, weil häufig anzutreffende Kartierungen des Feldes wie BICS versus CALP[2] als potenzielle Zielmarken da etwas zu kurz greifen. Unter BICS (Basic Interpersonal Communication Skills) werden dabei meist die sprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden, die im privaten Umgang mit Muttersprachlern sowie bei einem Aufenthalt im Land der Zielsprache für das tägliche Leben erforderlich sind. Sie werden üblicherweise dem Anfangsbereich des Spracherwerbs zugeordnet. Mit CALP (Cognitive Academic Language Proficiency) ist dann ein fortgeschrittenes Sprachniveau gemeint, welches es erlauben würde, den intellektuellen Herausforderungen eines Fachgebietes auch (fremd)sprachlich gerecht zu werden. Wie schnell ersichtlich, kommt der Kommunikationskontext Fachmann-Laie hier nicht vor. Es ist auch durchaus fraglich, ob Fachkommunikation wirklich automatisch sprachlich anspruchsvoller ist (und damit dem Fortgeschrittenenbereich vorbehalten sein muss) als private Kommunikation: Gleichwertige Fachkenntnisse vorausgesetzt, kann Fachkommunikation über Sprachbarrieren hinweg durchaus einfacher sein als über Smalltalk hinausgehende Privatgespräche oder Orientierungen in einer fremden Kultur. Wie auch immer: Es geht an dieser Stelle letztlich nicht um eine erschöpfende Analyse der verschiedenen Facetten der Sprachkompetenz eines Akademikers in Studium und Beruf, sondern um einen Einblick in die Komplexität der Aufgabe, welcher der Fremdsprachenunterricht an Hochschulen gerecht werden muss.

Damit kehren wir zurück zu der Frage, was denn nun den Fremdsprachenunterricht an Hochschulen hochschulspezifisch macht oder machen würde. UNIcert® sieht die Charakteristika einer Fremdsprachenausbildung im Hochschulbereich auf zwei Ebenen: einmal auf der Ebene studien- und berufsrelevanter Inhalte, zum anderen auf der Ebene hochschuladäquater Organisations- und Arbeitsformen. 

Zu den Inhalten sind weiter oben bereits Ausführungen gemacht worden. Studierende müssen in die Lage versetzt werden, die interne und externe Fachkommunikation bewältigen zu können; sie müssen auch fachübergreifend Sprache für akademische Zwecke gebrauchen können und interkulturell zumindest Grundkenntnisse haben, um im Kontakt mit dem Land der Zielsprache und seinen Angehörigen funktional erfolgreich sein zu können. Dies bedeutet u.a. eine große inhaltliche Nähe zu den Studienfächern oder Fachgruppen und den dort üblichen Modalitäten der Sprachverwendung – man denke hier z.B. an die fast schablonenhaften Vorgaben für die Abfassung von Forschungsberichten in einigen Bereichen der Naturwissenschaften oder Technischen Disziplinen. Diese gerade genannten inhaltlichen Vorstellungen sind sicherlich nicht nur bei UNIcert® vertreten, wenn sie sich hier durch den bottom-up-Ansatz vielleicht auch besonders gut in eine Ausbildungskonzeption einbringen lassen, die eine einzelne Lehrveranstaltung übersteigt. Gleichwohl werden sie gelegentlich aus den Augen verloren, wenn die Sprachausbildung einer Hochschule durch Vorbereitung auf externe Zertifikate der Allgemeinbildung dominiert und gesteuert wird.

Der Ebene hochschuladäquater Organisations- und Arbeitsformen als Kennzeichen einer hochschulspezifischen Fremdsprachenausbildung wird – jenseits löblicher individueller Initiativen in einzelnen Lehrveranstaltungen - außerhalb von UNIcert® in der Regel weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei verdient es Beachtung, dass wir es bei den Teilnehmern an einer Fremdsprachenausbildung im Hochschulbereich mit einer speziellen Teilmenge aller möglichen Fremdsprachenlernenden zu tun haben, nämlich Kursteilnehmern, die einen höheren Bildungsabschluss besitzen (Hochschulreife oder Äquivalent), die schon eine Reihe von Fremdsprachen gelernt haben (meist Englisch sowie mindestens eine weitere), die ihre Hauptmotivation aus ihrem Studienfach beziehen und die äußerst zeitökonomisch arbeiten können und müssen. Entsprechend benötigen sie einen Fremdsprachenunterricht mit steiler Progression, mit kognitiver Unterstützung, z.B. beim Verständnis von Strukturen, mit Rekurs auf bereits gelernte Fremdsprachen zur besseren Memorierbarkeit und Vernetzung, sowie mit innovativen, kreativen (auch experimentellen) Lehr-Lernformen (z.B. Handlungsorientierung, e-learningblended learning, Gruppenprojekte über Lernplattform, Simulationen, Fallstudien, Tandem oder Lernprojekte mit ausländischen Partnern), also mit Verfahren, die nicht einfach den schulischen Fremdsprachenunterricht fortschreiben, sondern welche die neuen Möglichkeiten eines hochschulischen Umfeldes zur Steigerung der Effektivität - aber auch als wichtigen Motivationsfaktor - einbeziehen. Und auf die bei UNIcert® explizit angestrebte enge Verbindung zwischen Ausbildungsmodalitäten und Verfahren der Ergebnisfeststellung - also die Widerspiegelung der Ausbildung in den Prüfungen - ist weiter oben hingewiesen worden.


4   Das Projekt UNIcert®-Spezifik und der GER

Nachdem wir oben die Kennzeichen einer hochschulspezifischen Fremdsprachenausbildung am Beispiel der hochschulrelevanten Aspekte von UNIcert® in einiger Detailtiefe dargestellt haben, nehmen wir statt eines zusammenfassenden Schlusswortes die Gelegenheit wahr, als Ausblick über ein kurz vor dem Abschluss stehendes Forschungsprojekt zur Ergänzung des GER durch (kalibrierte) hochschulspezifische Deskriptoren zu berichten. 

Die oben gegebenen Erläuterungen zur Hochschulspezifik sind sicherlich als Wegweiser geeignet, einen Eindruck von der anzustrebenden Ausrichtung zu geben, aber sie müssen natürlich noch durch sehr viel konkretere Detailbeschreibungen der sprachlichen Ziele und Anforderungen unterfüttert werden, um als Referenzpunkte bei der Konzipierung (und ggf. Evaluierung) hochschulspezifischer Ausbildungsmodelle im Fremdsprachenbereich dienen zu können. Nun liegen in den UNIcert®-Zielformulierungen und den Ausbildungsmodellen und -ordnungen der einzelnen akkreditierten Einrichtungen bereits vielfältige Beschreibungen (Deskriptoren) dieser Art vor. Diese sind allerdings intuitiv, d.h. nach bestem informierten Wissen der Autoren erstellt worden und nicht, wie z.B. die Deskriptoren des GER, kalibriert oder skaliert. Andererseits ist hier der GER selbst keine große Hilfe, denn die Domäne Hochschulbereich wird im GER nicht explizit - etwa in Form entsprechender Skalen - ausgeführt. Der GER unterscheidet vielmehr nur sehr grob zwischen vier Lebensbereichen (Domänen): dem privaten, dem öffentlichen, dem beruflichen und dem Bildungsbereich, betont, dass an vielen Situationen mehr als ein Bereich beteiligt ist, und fordert dazu auf, zu bedenken und ggf. anzugeben „in welchen Lebensbereichen die Lernenden handeln müssen, auf welche sie vorbereitet werden sollen und welche Anforderungen an sie gestellt werden“ (Europarat 2001: 53). Es gibt also einen Bedarf an hochschulspezifischen Deskriptoren, die - ähnlich wie die allgemeinen Deskriptoren des GER - kalibriert bzw. skaliert sind, um als Referenzpunkte für die Beschreibung hochschulspezifischer Leistungsprofile auf unterschiedlichen Niveaustufen dienen zu können.

Hier setzt das von Teresa Eichelmann bearbeitete Projekt UNIcert® Spezifik und der GER (Arbeitstitel) an. Das Projekt umfasst drei Phasen.

In einer ersten Phase ging es darum, im UNIcert®-Kontext vorliegende Deskriptoren in einer Datenbank zusammenzufassen und aufzubereiten, dabei Doppelungen und Ähnlichkeiten auszumerzen, diese Daten dann durch weitere Quellen - wie das Europäische Sprachenportfolio (ELP) für den Hochschulbereich sowie relevant erscheinende Deskriptoren aus dem GER – zu ergänzen, um dann schließlich durch Expertenkonsultation die Qualität der so zusammengestellten Deskriptoren überprüfen zu lassen. Es stellte sich dabei heraus, dass die meisten vorhandenen Deskriptoren Kompetenzen auf den Stufen UNIcert® II und III (B2 / C1) beschreiben. Es stellte sich auch heraus, dass bei Anlegen mehrheitlicher Qualitätsmaßstäbe die ursprünglichen 1250 Deskriptoren reduziert werden mussten auf 367, dann auf 251 und schließlich auf 177 Items, welche den Ansprüchen an hinreichende Eindeutigkeit standhielten.

Die zweite Phase befasste sich mit der horizontalen Verteilung der verbleibenden 177 Deskriptoren auf die verschiedenen Kategorien des GER (wie kommunikative Aktivitäten RezeptionLesen / HörenProduktion schriftlich / mündlichInteraktion schriftlich / mündlichstrategische Kompetenzpragmatische und linguistische Kompetenzinterkulturelle Kompetenz), also mit der Frage, welche Deskriptoren so beschaffen sind, dass Experten sie klar diesen Kategorien zuordnen können, sowie für welche Kategorien nun überhaupt Deskriptoren auf der Basis der herangezogenen Quellen zur Verfügung stehen. Im Ergebnis blieben von den 177 Deskriptoren 118 übrig, wenn man den Maßstab einer mehr als 59%igen Übereinstimmung der Experten zugrunde legt, oder 136, wenn man mit einer mehr als 50%igen Übereinstimmung zufrieden ist. In beiden Fällen gibt es z.B. für die Kategorie Interaktion schriftlich im aktuellen Datensatz keine Deskriptoren.

In der dritten, derzeit noch in der Auswertung befindlichen Phase geht es um die vertikale Zuordnung der Deskriptoren zu bestimmten Niveaustufen auf den Kompetenzskalen nach UNIcert® I-IV (bzw. GER B1-C2), wiederum auf der Basis entsprechender Expertenurteile. Beispiele für Ergebnisse zeigen, dass Deskriptoren wie Kann Vermutungen über Ursachen und Konsequenzen aufstellen und über hypothetische Situationen sprechen oder Kann lange, komplexe Texte zu Themen des eigenen Fach- und Interessensgebietes verstehen und relevante Informationen entnehmen mehrheitlich der Niveaustufe UNIcert® II / B2 zugeordnet werden, während ein Deskriptor wie Kann klare, gut strukturierte Texte zu komplexen Themen verfassen und dabei verschiedene Standpunkte darlegen, Hauptgedanken hervorheben und die Argumentation durch ausführliche Beispiele verdeutlichen als charakteristisch für die Niveaustufe UNIcert® III / C1 angesehen wird.

Die Details können je nach Fortgang bei der Autorin[3] erfragt werden. Bei den konsultierten Experten handelt es sich um jeweils 40 bis 50 praktizierende Fremdsprachenlehrer im Hochschulbereich mit unterschiedlichen Zielsprachen als Unterrichtssprachen - in beabsichtigter Parallelität zu den Verfahren, die bei der Entwicklung des GER angewendet wurden. Das Ziel sind belastbare - d.h. eindeutige, mehrheitlich gleich verstandene -  Beschreibungen der Sprachkompetenzen auf den verschiedenen Niveaustufen einer UNIcert®-basierten Fremdsprachenausbildung und damit auch entsprechende Ergänzungen des GER mit kalibrierten und skalierten Deskriptoren zur Domäne Hochschulbereich.

Wir sind neugierig darauf, wie viele bzw. welche Deskriptoren allen Überprüfungen schließlich standhalten, und würden uns auch von der Seite dieses Projektes her einen substantiellen Beitrag versprechen zur Beantwortung der Frage, welche Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht an Hochschulen auf den verschiedenen Niveaustufen vermittelt bzw. erreicht werden müssen - und damit, was am Fremdsprachenunterricht im Hochschulbereich hochschulspezifisch ist.



Bibliographie

BICS versus CALP s. http://de.wikipedia.org/wiki/Jim_Cummins, dort auf „offizielle Website“, dort auf „BICS and CALP“ (letzter Zugriff 2.2.2012).

Council of Europe (2001). Common European Framework of Reference for Languages: Learning, teaching, assessment. Cambridge: University Press.

Eichelmann, Teresa (2009 ff). Projekt UNIcert® Spezifik und der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (Arbeitstitel), unveröff Zwischenberichte, Kontakt: teresa_eichelmann@web.de.

ELP (European Language Portfolio). s. www.aks-web.de unter Cercles.

Europarat (2001). Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin u.a.: Langenscheidt.

Fischer, Johann et al. (2011). Guidelines for task-based university language testing. Graz: ECML Council of Europe Publishing (s.a. http://gult.ecml.at  sowie  http://www.ecml.at/publications).

Nübold, Peter (Hrsg.) (2001). Fremdsprachen an Hochschulen: Was ist hochschulspezifische Fremdsprachenausbildung? Bochum: AKS-Verlag.

Nübold, Peter (2010). Zum Verhältnis von Allgemeinsprache zu Fachsprache: getrennt behandeln oder kombiniert? In: Voss, Bernd (Hrsg.) (2010): 117-134.


Voss, Bernd (Hrsg.) (2010). UNIcert® Handbuch 2. Stand-Entwicklungen-Perspektiven. Bochum: AKS-Verlag.



[1]   http://gult.ecml.at/; 30.10.2012
[2] Die Begriffe BICS und CALP wurden von James Cummins 1979 / 1980 zur Charakterisierung von unterschiedlichen Kompetenzstufen beim Zweitspracherwerb von (Im)Migranten geprägt, sind dann aber, wohl wegen ihrer scheinbaren Griffigkeit, wie hier für alle möglichen anderen Kontexte verwendet worden.
[3] Unter der E-Mail-Adresse: teresa_eichelmann@web.de.